Der Kauf eines Produktes ist eine langwierige, meist auch nervige Angelegenheit. Wenn Sie im Netz nach einer Ware »recherchieren«, könnte Ihnen das bekannt vorkommen, aber auch wenn Sie eine Tüte Milch in Ihren Einkaufswagen packen, hat das eine Menge Zeit gekostet. Vermutlich wenige während dieses einen konkreten Besuches im Supermarkt, bei dem sie intuitiv zu der Ware greifen, die Sie immer kaufen. Aber diesem Griff dürften einige Versuche vorausgegangen sein, bis Sie schließlich »Ihr« Produkt »gefunden« haben, so dass Sie in Folge nicht mehr weiter darüber nachdenken müssen.
Das Ganze ist so aufwändig, weil man die persönlichen Vorlieben, die sich ja immer mal wieder ändern, mit dem verfügbaren Angebot abgleichen muss – und man zudem als kapitalismuskonform Konsumierende:r immer mal wieder etwas Neues probieren muss. Wie sieht Ihr Suchmodus aus? Schauen Sie nach den niedrigsten Preisen? Achten Sie auf umwelt- oder sozialverträgliche Herstellung? Nach einem Anstoßpunkt für eine Geschichte, d.h. eine Selbstinszenierung, die Sie zuhause, Ihren Freund:innen oder Kolleg:innen vortragen können? Oder greifen Sie zu den ewigen Marken, um Ihre Entscheidungslast zu reduzieren, d.h. nicht weiter überlegen zu müssen?
Diese Fragen hat sich auch die Industrie gestellt, lange bevor das Produkt im Regal gelandet ist. Denn was im Business-Jargon »Customer centricity« genannt wird, ist nichts anderes als eine handlungsleitende Darstellung der Konsum-Werte, an denen sich Käufer:innen orientieren. Das Marketing übernimmt vor diesem Hintergrund eine doppelte Funktion. Es dient einerseits, in der Planungs- und Herstellungsphase, als Simulationsmaschine zukünftiger Konsumroutinen. Und es muss andererseits, nach der Markteinführung, jene Werte, die die Gestaltung des Produktes angeleitet und seinen Preis definiert haben, wieder in Worte und Bilder übersetzen, um die vorab definierten Zielgruppen tatsächlich abzuholen.
Als einzelne:r Konsument:in steht man nun in dieser Gemengelage aus Selbst- und Fremdzuschreibungen und muss konkrete Entscheidungen treffen. Die Waren treten uns als kompakte Formen gegenüber, die die o.g. Fragen auf die eine oder andere Art beantworten. Sie sind kulturelle Festkörper, die wir einer mehr oder weniger genauen Beobachtung unterziehen, wenn wir ins Regal greifen oder ein Produkt per Klick in den digitalen Warenkorb schieben. Im Folgenden will ich die Wert-Schichten, anhand derer wir unsere Kaufentscheidungen fällen, in drei Gruppen aufteilen. Worauf achten wir, welche Fragen stellen wir – und welche Affekte versucht das Marketing bei uns auszulösen, insbesondere wenn es nicht nur über den Preis kommen, sondern andere Argumente geltend machen will?
Die erste Wertschicht, in der ein Produkt kodiert ist, könnte man sein Material nennen. Das ist so einfach, wie es klingt: woraus besteht das Produkt? Wer Kuhmilch kauft, kann den eigenen Genuss oder auch bestimmte Gesundheitsaspekte als leitende Werte in Anspruch nehmen. Wer sich hingegen für Hafermilch entscheidet, wird dies entlang eines planetarischen Werts (Umweltbelastung, Tierwohl) oder eines individuellen gesundheitlichen Wertes (Laktose-Unverträglichkeit) tun. Wie auch immer die Wertentscheidung ausfällt, sie stützt sich auf die Stofflichkeit des Produkts.
Bei der zweiten Wertgruppe geht es um die Qualifizierung des Produkts, um das Wie seiner Herstellung. Darunter fällt z.B. die Art des An- und Abbaus von Rohstoffen oder auch die angemessene Vergütung der Produzierenden. Der entscheidende Unterschied zum Material liegt darin, dass sich Qualifizierungen nicht mehr anhand von Eigenschaften oder Inhaltsstoffen eines Produktes ablesen lassen, sondern unsichtbar sind.
Deshalb ist diese Schicht die erste, die das Marketing tiefer erzählen muss – in der Werbung, auf Verpackungen oder auch durch Influencer:innen. Wir müssen wissen – und glauben –, dass hier Irgendetwas stattgefunden hat, das einen höheren Preis begründet. Denn die Logik ist ja meist banal: je »achtsamer« ein Produkt ausgerichtet wird, desto höher ist sein Preis. Wer sich korrekt gegenüber Mitmenschen und Planet verhalten will, muss mehr zahlen.
Material und Qualifizierung haben gemeinsam, dass sie eine konkrete Verbindung zu greifbaren Realitäten haben – eben zu Stoffen bzw. Produktionsweisen. Für das Marketing ergeben sich daraus relativ einfache Aufgaben, denn es kann hinsichtlich dieser Wertgruppen zwar euphorische, aber immer noch an Sachlichkeit orientierte Aussagen bilden, um die Ware auf dem Markt zu positionieren. Der Blick der Konsument:innen wird in beiden Fällen auf handfeste Gegebenheiten gelenkt.
Die dritte Schicht Werte, die die Sicht auf ein Produkt filtert, ist von diesen Konkretionen losgelöst. Man befindet sich in einer Wolke, die sich aus verschiedenen, schwer greifbaren Partikeln zusammensetzt – eigene Erfahrungen mit einer Produktgruppe oder dem herstellenden Unternehmen, Erzählungen und Bewertungen anderer Leute, das Vertrauen, das man einer Marke entgegen bringt, die Identitäts- bzw. Distinktionsgewinne, die der Besitz verspricht.
Jedenfalls schleicht sich etwas Diffuses an, das sich schwer fassen lässt. Die Wolke des Hörensagens begleitet bzw. umhüllt die fester verankerten Überlegungen, die wir mit Blick auf die ersten beiden Wertschichten anstellen. Und oft genug sind es diese irrational eingefärbten Motive, die den nötigen Schubs geben, um sich für eine Ware zu entscheiden. Ein elegantes Design, eine angenehme Sprache, ein bekanntes Logo, eine vertrauenswürdige Händlerin – was auch immer die Optionsparalyse im Angesicht der Produktvielfalt zu unterbrechen vermag.
Wer sich hingegen rücksichtsvoll gegenüber der Welt verhalten möchte, muss den eigenen Konsum konsequent an Material und Qualifizierungen der Waren ausrichten.