Vom Take Off der Werbung

Never Mind The Product – You Are Okay

In: Bild (Thema), Produkt (Thema) Reading Time: 3 min

Man sieht die Waren und fragt sich, wie und wann es dazu kommen konnte. Zum Beispiel Teemischungen: Happy Nature, Seelenbalsam, Innere Harmonie, Frauentee. Wann und wie ist das passiert, dass sich die Versprechen des Marketings von den Produkten emanzipiert haben, dass Stimmungen oder Statusbehauptungen zu Namen wurden? Und, daran anschließend: wie diese Versprechen zur zweiten Natur, d.h. zum fundamentalen Bestandteil der Produkte wurden.

Das wird eine schwierige, vermutlich kaum zu lösende Aufgabe; begnügen wir uns damit, das 20. Jahrhundert unter Pauschalverdacht zu stellen. Um ein Gefühl dafür zu kriegen, was beim Take Off des Marketings von den Produkten passiert, hilft uns eine grandiose – fiktionale – Urszene dieses Moments, den uns die Serie Mad Men vorschlägt.

Sie geht wie folgt: Die Zigarettenmarke Lucky Strike steht gegen Ende der 1960er Jahren vor dem Problem, dass die Öffentlichkeit langsam versteht, dass Kippen Krebs und andere tödliche Krankheiten verursachen. Die Wirklichkeit setzt das Produkt unter Druck, seine effektive »sachliche« Qualität ist von nun an als zerstörerisch einzustufen. Das Urteil über Zigaretten ist gesprochen und lässt sich nicht mehr aus dem Weg räumen.

Eine heikle Situation für die Reklame, deren Aufgabe es ist, den intrinsischen Mehrwert der Ware für das Leben der Konsument:innen darzustellen. Wenn es diesen Mehrwert aber nicht gibt, dieser sogar ins Gegenteil umschlägt – was tun? Geht man auf das Thema ein, verhält man sich in irgendeiner Art und Weise dazu?

Dazu besteht kein Anlass – denn wir befinden uns schließlich immer noch in einem Markt, und da geht es einzig ums Verkaufen. Der Countdown für die gesellschaftsweite Abschaffung des Rauchens an sich mag begonnen haben, aber bis dahin ist es ein weiter Weg, auf dem sich noch einiges verdienen lässt. Und trotz der langfristig absehbaren Schwierigkeiten besteht Trost darin, dass alle Zigarettenfirmen von dem Problem betroffen sind. Der Auftrag der Werbeagenturen besteht weiterhin darin, die Erscheinung der Marke zu differenzieren und ihr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Die sachlichen Argumente fallen nun weg, da sie die zentrale Wahrheit des Produkts – seine Tödlichkeit – konterkarieren würden. Wie kann sich nun eine Zigarette von der anderen abheben, wenn die Produkte aller Firmen per se negativ besetzt sind und sich Hinweise auf innere Qualitäten verbieten?

Chef-Werber Don Draper erkennt in diesem vermeintlichen Problem die eigentliche Chance (ab 4:10 im Clip):

This is the greatest advertising opportunity since the invention of cereal. We have six identical companies making six identical products. We can say anything we want… Advertising is based on one thing: happiness. And you know what happiness is? … It’s freedom from fear. It’s a billboard on the side of the road that screams with reassurance that whatever you’re doing, it’s okay. You are okay.

Der Werber geht einfach über die miese Qualifizierung des Produkts hinweg, so dass am Ende der Präsentation der nahezu leere Claim „It’s toasted“ steht. Draper verlässt einfach das Register der Sachlichkeit und schleicht sich in eine unverfängliche Banalität, denn der Tabak der Konkurrenz wird genauso geröstet. Das Marketing setzt eine fiktive Differenz, die keine Begründung im Produkt hat.1

Was also zunächst wie eine Bedrohung für Produkt und Werbung klingen mag – alle Produkte sind gleich –, ist völlig egal. Vielmehr ergibt sich die große Chance, die Zwänge, die die Realität der Produkte ausübt, loszuwerden. Die Werbung hebt ab; von dort aus ist es dann nicht mehr weit bis zum Duschgel, das den Namen „Freiheit“ trägt.

Der eigentliche Kniff, die Kunstfertigkeit der Werbung liegt aber in dem Trost, den sie spendet, durch die implizite Meldung an den Kunden, dass er okay ist. Der Claim „It’s toasted“ transzendiert in seiner Banalität das Material des Produkts. Was immer ich tue, wie immer ich denke, nach welchen Kriterien ich auch handle oder kaufe: Ich bin okay, und zwar so, wie ich bin. Ich habe wenig Geld und kann mir nur billiges Fleisch kaufen? You are okay. Mir ist wichtig, dass kein Kakaobauer ausgebeutet wird? You are okay. Ich will mich vom Pöbel unterscheiden und das mit meinem Besitz performen? You are okay.

Die Werbung funktioniert wie ein beruhigendes Flüstern, das mir Zuspruch gibt. Das In-der-Welt-Sein eines Produkts mitsamt seiner Werbung spiegelt mir, dass ich nicht allein bin mit meinen Werten – seien sie von finanzieller Not beherrscht oder auch vom Wunsch nach Angeberei. Wenn eine ganze Industrie sich dazu entschließt, unter Gesichtspunkten zu wirtschaften, die auch auf mich zutreffen, werde ich in meiner Existenz validiert. Die Ware ist eine Form, die meine persönlichen kulturellen Werte im Medium des Konsums realisiert.

Auf diese Art stabilisieren sich die Unternehmen und Konsument:innen nicht nur gegenseitig, sondern immunisieren sich auch – gegen Kritik von außen. Die Werbung ist wie ein Zauberspruch, der Waren und Käufer:innen umhüllt, der eine intime Atmosphäre für sie schafft. Gegen alle Vernunft werden Produkte und Konsumierende zu Komplizen, die sich nicht darum scheren müssen, welche Konsequenzen Ihr Wirtschaften hat.

  1. Kleiner Seitenhieb: Die Serie selbst verabschiedet ebenfalls von der Wahrheit, nämlich der historischen – den Claim „It’s toasted“ gab es schon deutlich früher.