Bret Easton Ellis, Autor von American Psycho und Glamorama – bitte lesen Sie die Titel als Worte –, sitzt seit etwa 1 Minute auf der Bühne. Der Moderator, ein freundlicher, mir unbekannter älterer Herr, hat gerade die ersten einleitenden Worte gesprochen, als er taktvoll vom Star des Abends unterbrochen wird – einen Moment, sagt dieser bittend: „I’ve got to pull up my pants“.
Ellis war seit 13 Jahren nicht in Deutschland, zudem versucht das Kölner Literaturfestival lit.cologne angeblich seit 20 Jahren, ihn für einen Auftritt zu gewinnen. Nun hat es also geklappt, und dann das: eine Bauarbeiter-Geste von dem Mann, dessen Bücher getragen werden von Geld, Distinktion, Stilbewusstsein, Markennamen. Er steht langsam auf, sagt den Satz, die Männer neben ihm schauen hoch, dann zieht er an seiner ausgebeulten, blassblauen Jeans und hat die Gunst des Publikums in Deutschlands größtem Dorf auf seiner Seite.
Schwer zu sagen, was die Leute erwartet haben – aber wohl nicht das. Ellis schafft es jedenfalls, mit dieser Mini-Performance – die schlecht sitzende Hose präsentieren, sie dann hochziehen – nicht nur seinen Ruf als Styler zu unterwandern, sondern auch das Programm der kommenden, präzise eingehaltenen 90 Minuten zusammen zu fassen: sich zeigen, um sich zu verstecken.
Er sei sehr nervös, habe nicht gewusst, was das heute für eine Veranstaltung werde und auch lange nicht mehr öffentlich gelesen – um anschließend wahnsinnig eloquent, lustig, zugewandt zu plaudern, wild entschlossen, den Leuten eine gute Zeit zu bereiten. Der Autor als Entertainer, es ist die reine Freude. Das funktioniert auch deswegen so gut, weil er den Deutschen serviert, was sie lieben, nämlich die Nichtdifferenz zwischen Autor und Werk. Anekdote dazu: Er sei gefragt worden, warum er denn noch kein Memoir geschrieben habe, worauf er antwortet: habe ich doch, und zwar 9 Stück. Alle seine veröffentlichten Bücher würden seinen emotionalen Zustand zu der jeweiligen Zeit spiegeln, usw.
Das ist die Hose, die er während des ganzen Abends auf Halbmast lässt: ihr könnt mir bei meinem Leben zusehen, alles liegt offen da, es geht immer um mich, „ich schreibe meine Bücher für niemanden.“ Der Romantiker, der sich in seinem Denken und Fühlen präsentiert – es schillert und goethet wie verrückt, alle suhlen sich in der großzügig angebotenen Intimität und den Echtheitsversprechen.
Dabei ist sich ja nicht mal Ellis‘ deutscher, in Köln ansässiger Verlag Kiepenheuer und Witsch zu schade, auf der Rückseite seines neuen Romans die »Dreifaltigkeit« aus »Autor, Erzähler und Hauptfigur« zu betonen: »The Shards ist eine faszinierende Mischung aus Fakten und Fiktion, aus Realität und Fantasie«. Von diesem kleinen literaturwissenschaflichen Reflexionsangebot möchte das Publikum an dem Abend aber nichts wissen. Selbst wenn Ellis offensichtlich alle verarscht, als er beispielsweise berichtet, dass er »just today« eine Nachricht von seinem im Roman verwursteten Girlfriend bekommen habe, in der sie sich über den Namen ihres fiktionalen Charakters beschwert, wundert das niemanden – auch nicht den Moderator, der im allgemeinen atmosphärischen Suff nur zu gerne mitglaubt.
Man kann das niemandem übel nehmen, warum auch. Die Hose muss locker sitzen. Für einen kleinen Witz und die gute Stimmung ist alles erlaubt, deswegen sind wir hier, wenn auch ohne es vorher gewusst zu haben.
Das gleiche Manöver vollzieht übrigens der Roman, nur in etwas düsterem Register. Hier sieht die lockere Hose so aus, dass das Liebesobjekt des Protagonisten ein Serienkiller ist. Was, wie sich herauskristallisiert, einfach nicht stimmt. Es bleiben gegen Ende nur äußerst vage Verbindungen zum echten Killer – dem Erzähler aber reicht das, um seinen Verdacht, sein Misstrauen gegenüber dem Unschuldigen aufrecht zu erhalten. Obwohl er durchscheinen lässt, dass seine Vermutung sich nicht bewahrheitet hat, löst er die unheilvolle Atmosphäre der Geschichte nie auf. Die Verdrehung der Tatsachen wird hinter vorgehaltener Hand zugegeben, ändert aber nichts am Tonfall.
Wir werden, heißt das, in beiden Aufführungen auf wunderbare Weise sanft geblendet. So wichtig ist es nicht, und so genau will man es auch nicht wissen: ob es stimmt, was hier erzählt wird. Korrekt sitzende Hosen sind langweilig; wenn es denn so abseitig, schön und charmant klingt, darf es ruhig ein wenig unzuverlässig zugehen, wir sind hier ja nicht bei Goetz, Biller und Co. Was zählt, ist die Bande, das Vertrauen zwischen Erzähler und Publikum – eine schlecht sitzende Hose als (Er-)Öffnung tut dabei wertvolle Dienste.