Was ist Design? Allein die schiere Menge der Vorschläge schreckt davon ab, die Frage zu klären. Bei all den verschiedenen Sprecher:innen, Zugängen und Abstraktionsgraden lautet die Antwort wieder mal: it depends.
Für die Fragenden ist das natürlich unbefriedigend, ich möchte mir gerne einen Schattenriss für den Hausgebrauch zurechtlegen. Es sollte doch, damit das Wort nicht vollkommen nutzlos (also: schlechtes Design) ist, irgendeine Bestimmung geben, die einigermaßen anspruchsvoll und zugleich verständlich genug für Nicht:expertinnen ist. Zu diesem Zweck und um es knapp zu halten, habe ich mit ChatGPT und Claude AI nach »One Sentence Wonders« Ausschau gehalten – also nach Definitionen, die sich trauen, das Thema mit nur einem einzigen Satz in den (Be)Griff zu kriegen.
So kriegt man ein Haufen Aussagen, deren Sinn sich mit- und gegeneinander verschiebt. Der Beobachter sieht so Gemeinsamkeiten, Verwandtschaften, Abweichungen, Widersprüche. Eine Art grobmaschige Lektüre, in der nicht nur dickere Sinn-Brocken hängen bleiben, sondern auch die semantischen Bewegungen selbst erscheinen. Die Platzhirsche des Designs müssen ja immer mal was Neues bieten, um aufzufallen und im Gespräch zu bleiben. Eine solche Vermessung erscheint mir grundsätzlich interessanter und produktiver, als sich an einer einzigen Definition festzuhalten.1
Sichtbares und Unsichtbares
Für den Anfang, um an ein breites Verständnis anzudocken, halte ich folgende Definition für brauchbar:
»Design is the method of putting form and content together.«
Paul Rand, 1985
Die Unterscheidung von Form und Inhalt dürften alle aus der Schule kennen und sogar gelegentlich im Alltag nutzen. Sie signalisiert, dass wir es sowohl mit etwas Konkretem, Wahrnehmbarem (Form), als auch mit etwas Abstraktem, sinnlich Unwahrnehmbaren zu tun haben (Content). Die Aufgabe des Designs besteht darin, diese beiden Aspekte methodisch, d.h. reflektiert zusammenzuführen.
Kontrastieren wir diese Aussage mit jener berühmt-berüchtigten Sentenz, die ein gewisser Herr Sullivan im 19. Jahrhundert relativ unbescheiden gleich mal als Gesetz rausgehauen hat:
… form ever follows function. This is the law.
Louis Sullivan, 1896
Mindestens drei Dinge fallen auf, wenn wir diese Definitionen gegenüber stellen:
- Beide Aussagen nutzen die »Form« als fundamentale Kategorie.
- Wir haben jeweils 2 Stellen im Satz, von denen die eine mit »Form«, die andere mit »Content« ODER »Function« besetzt wird.
- Während form and content gleichberechtigt nebeneinander auftreten, richtet form follows function eine Hierarchie ein – die Funktion ist der leader, die Form der follower.
Anhand dieser drei Punkte kann man, denke ich, einen Großteil der Auffassungen von und der Diskussionen über Design nachverfolgen – in der Theorie, unter Praktikern und im alltäglichen Verständnis.
Punkt 1 betrifft, wie oben erwähnt, die Wahrnehmung. Design hat mit Gegenständen, Räumen, Klang, Oberflächen zu tun. Der Begriff der Form verweist im Kontext von Design auf Materialität und Körperlichkeit. Das, was gestaltet ist, tritt mir gegenüber, so dass ich es sehe, höre, anfasse, rieche.
Punkt 2 zeigt, dass das Unsichtbare eine Stelle markiert, die verschiedene Kandidaten besetzen können. Das Unsichtbare erscheint in variablen Wortgestalten: content, function, meaning, purpose, plan, invention, innovation, culture, environment. So können die Expert:innen wunderbar darüber streiten, worum es denn nun »wirklich« beim Design geht.
Im selben Terrain arbeitet Punkt 3, der für zusätzliche Aufwallungen und die Dynamik von Debatten sorgt. Wer ist bitteschön der leading agent?
Funktion und Ästhetik
Anhand dieser zwei Aussagen (und als vorweg genommenes Ergebnis der Filterung anderer Definitionen) bastle ich mir nun meinen eigenen, mit Luhmann-Jargon gebauten ist-Satz:
Design ist die Einheit der Differenz von Funktion und Ästhetik.
moi
»Ästhetik« signalisiert zweierlei. Zum einen, als quasi-neutrale Bezeichnung, dass Design eine Sache der Wahrnehmung (griechisch »Aisthesis«) ist. Körper und Oberflächen sind sinnlich erfahrbar, wir sehen, hören und/oder berühren sie (Punkt 1). Zum anderen führt sie die Frage nach der Qualität des Sinnlichen ein, die uns hier aber nicht weiter beschäftigen soll. Was ist schön, was ist hässlich?
Die »Funktion« benennt das Unsichtbare, nimmt dessen Stelle ein (Punkt 2). Sie ist mein bevorzugter Platzhalter, weil sie nicht nur an das o. g., sehr bekannte Diktum anknüpft, sondern eine relativ große semantische Ecke umreißt: Zweck, Plan, Problem, Lösung, Nutzen – all diese Vokabeln stehen der Funktion nahe. Sie weist darauf hin, dass das Design im Dienste von und für etwas steht.
Funktion und Ästhetik bilden in dieser Begriffsbildung eine nicht weiter auflösbare Unterscheidung. Auf diese Art gibt der Begriff »Design« zu verstehen, dass immer beide Seiten im Spiel sind – und es selbst die Einheit ist, die beide Seiten umfasst (ginge es bei einem Artefakt nur um Ästhetik, hätten wir es mit Kunst zu tun. Basierte eine Funktion wiederum bloß auf einer materialistischen Notwendigkeit, handelte es sich um Technik).
Die Semantik dieser Wörter ist an ihren Kanten selbstverständlich rutschig. Die Funktion, der Gebrauchswert eines Objekts kann sich immer auch aus seiner Ästhetik ergeben (z. B. für Angeber), wie auch die Schnörkellosigkeit einer wahrnehmungsagnostisch aufgestellten Funktionalität mitunter als schön empfunden wird. Ästhetik und Funktion sind »nur« zwei Perspektiven, die sich aus ihrer eigenen Differenz ergeben. Wichtig für die Rede von Design ist, dass beide gemeint sind.
One Sentence Wonders: Funktion und Ästhetik
»Design formt Dinge, Räume, Menschen.« Gerd Selle
»Design is a plan for arranging elements in such a way as best to accomplish a particular purpose.« Charles Eames
»Design is art people use.« Ellen Lupton
»Design is the human capacity to shape and make our environments in ways that satisfy our needs and give meaning to our lives.« John Heskett
»Design is not just what it looks like and feels like. Design is how it works.« Steve Jobs
»Design is where science and art break even.« Robin Mathew
»Design is the search for a magical balance between business and art; art and talent; intuition and reason; concept and detail; playfulness and formality; client and designer; designer and printer; and printer and public.« Valerie Pettis
Formverlust
Etwas Interessantes erscheint, wenn man sich abstraktere Ein-Satz-Definitionen anschaut. Dabei bietet sich an, vom englischen »Design« auf die deutsche »Gestaltung« umzustellen, um die Uferlosigkeit dessen, was damit bezeichnet werden soll, noch besser zu begreifen. Mit »abstrakter« meine ich schlicht, dass die »Form« nicht mehr Teil der Definitionen ist. An der Inklusion bzw. Exklusion der Form hängt dann, ob man bei Gestaltung noch an konkrete Formen, d. h. an Wahrnehmung und Gegenständlichkeit denkt.
Mit der Auslassung der Form wird zudem ein neues semantisches Feld erschlossen (und man könnte sich fragen, ob es dieses Feld ist, das konkrete Formen ausschließt). Jetzt geht es um Zustände, Bedingungen, Probleme, Lösungen, Kommunikation oder gleich die ganze Welt. Also nicht mehr nur um Räume, Dinge oder Oberflächen, sondern auch um Strukturen, Prozesse, geistige Verfassungen. Kurz: um alles, was sich als Ergebnis einer Kette von Entscheidungen begreifen lässt. Die Form mag aus dem »Inneren« der Definition verschwinden, im »Äußeren« übernimmt sie dafür quasi-totalitär: Design selbst ist die Form, die Form ist Design.
One Sentence Wonders: Formverlust
»Design is the transformation of existing conditions into preferred ones.« Herbert Simon
»Design is the conscious and intuitive effort to impose meaningful order.« Victor Papanek
»Design is a solution to a problem« John Maeda
»Design is the art of planning or inventing something that does not yet exist.« Richard Buchanan
»Design is really an act of communication« Don Norman
»Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.« Dieter Rams
»Design is the methodology of understanding and reinvention of the universe.« Bruce Mau
»Design ist eine Praxis der Kontemplation von Welt« Dirk Baecker
Diese zirkulären, auf Selbstreferenz gebauten Logiken machen Spaß, aber aber auch schwindelig. Vor allem aber sorgt ihre komplexe Eitelkeit dafür, dass die alltägliche Verständigung – z.B. unter Kolleg:innen – schwierig wird, nicht weiterhilft, für Dissonanzen sorgt, abbricht. Die Kommunikation über Design wird ab einem gewissen Abstraktionsgrad des Begriffs dysfunktional – weswegen man diese Form des Sprechens wohl eher den Wissenschaftler:innen überlassen muss.
Mein Merksatz für den Hausgebrauch: je weiter man sich von der Aisthesis, von konkreten Objekten entfernt, desto mehr droht der Begriff des Designs unscharf zu werden. Grundsätzlich darf das Designer:innen egal sein – sie können ja auch ohne Reflektion und Definition prima gestalten. Wenn es aber um Relevanz und Positionierung von Design im Unternehmen geht, sollte man lieber wissen, was man tut – und auch abstrakt argumentieren können.