Gebrauchs- gegen Markenwert

Konsum ist die permanente Aufgabe, zwischen persönlichen Bedürfnissen und sozialen Versprechen zu unterscheiden

Wie steht es eigentlich um den Gebrauchswert? Klingt nicht gerade sexy, wenn man das so hinschreibt. Mit einer warmen Decke lässt sich kommunikativ kein Stich machen – man muss schon hinzufügen, dass sie aus natürlichem Material ist, unter fairen Bedingungen und mit einer besonderen Technik hergestellt wurde, einer bestimmten Design-Idee folgt und lange halten wird, um ihre Attraktivität zu steigern.

Der Gebrauchswert allein, heißt das, stillt keine kommunikativen Bedürfnisse. Dennoch dürfte er nach wie vor in der überwältigenden Mehrheit der Kaufentscheidungen die entscheidende Begründung liefern. Was bringt mir ein Produkt, was leistet ein Service? Ohne Nützlichkeit gibt es keinen Wert, wie Marx bündig zusammenfasst: „Endlich kann kein Ding Wert sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein“. Die entscheidende Referenz für diese Nützlichkeit ist bei Marx – wie in jeder gegenwärtigen Diskussion über Business Values oder Usability auch – der Mensch. Denn die Ware ist „ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“

Der Gebrauchswert ist also die Bedingung für die Entstehung von Wert. Erst durch den Einsatz der Ware für etwas, durch ihr Instrument-Sein, kann die Ware Ware werden. Sie steht nie bloß für sich, sondern ist in die Nutzung eingebettet, die ihren Wert definiert.

Wenn man möchte, kann man jede von einer Ware gestützte Bedürfnisbefriedigung unter dem Schlagwort des Gebrauchswertes zusammenfassen. Marx: „Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache.“ Demnach wäre es egal, wofür eine Ware eingesetzt wird – Bohrmaschine und ein Kunstwerk gleichen sich darin, dass sie ein Bedürfnis befriedigen; der Fluchtpunkt des Menschen macht die Unterschiede platt, alles ist Variation des Gebrauchswerts. Der Zweck heiligt die Ware, so oder so.

Wir würden selbstredend etwas verpassen, wenn wir alle Wert-Typen derart reduzieren und zusammenfassen. Die klassische Szene: jemand läuft in Balenciaga-Jacke über den Schulhof, um die Mitschüler:innen zu beeindrucken. Der »Gebrauchswert« der Ware liegt offensichtlich weniger darin, dass die Jacke warm hält, sondern in der Angeberei, die sie ermöglicht. Das Bedürfnis, auf das das Kleidungsstück antwortet, ist soziale Geltung – nicht ein frierender Körper. Der Wert der Jacke ergibt sich nicht aus Schnitttechnik oder Material, sondern aus ihrer Zeichenförmigkeit. Entscheidend ist die Marke, denn sie lädt das Kleidungsstück mit der notwendigen Bedeutung auf, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Der Markenwert arbeitet nicht mehr mit der stofflichen Wirklichkeit der Ware, sondern versorgt sie mit sozialem Kapital, um den Wert zu steigern.

Die Grundzüge dieses Plots hat Marx vor 150 Jahren schon ausgebreitet – wenn auch mit anderem Fokus. In seinem berühmten Text über den »Fetischcharakter der Ware« kommt er angenehm ins Grübeln, wenn er feststellt, dass sich der Wert einer Ware nicht allein durch ihren praktischen Nutzen oder die in ihr gespeicherte menschliche Arbeit erklären lässt. Denn eine Ware ist nicht mehr nur ein „ordinäres sinnliches Ding“, sondern ein „sinnlich übersinnliches Ding“.

Übersinnlich heißt hier einfach, dass man ihren Zustand, ihren besonderen Status, nicht mehr allein mit der Wahrnehmung erfassen kann, sondern stattdessen – wie es zeitgenössisch heißen dürfte – auf die Begleitkommunikation schauen muss. Sie ist ein vergesellschaftetes Ding, das als solches sogleich die Frage nach seinem gesellschaftlichen Wert aufwirft.

Dem Wert [steht] nicht auf die Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen.“

Karl Marx. Das Kapital. 1872

Gebrauchs- und Markenwert folgen somit zwei verschiedenen Formen der Rationalität. Der Gebrauchswert wirkt in diesem Vergleich deutlich weniger rätselhaft, weil er die klassische Vernunft vertritt: Es geht um pragmatische Gewinne wie Funktionalität, Vereinfachung, Zeitersparnis, Erhaltung oder Optimierung des Körpers, Aufwandsreduktion. Er lässt sich halbwegs gut beobachten, benennen und messen.

Was zur Folge hat, das man wunderbar über ihn diskutieren und fachsimpeln hat. Wie gut, d.h. wie wertvoll ist ein Gegenstand oder auch ein Service? In der Diskussion des Gebrauchswertes, wie wir sie am Fuß der Produkte bei Amazon beobachten können, ergeben sich die Kriterien für seine Bewertung. Das Unterhaltsame daran ist, dass der Wert zwar in der Ware »wohnt«, seine Bestimmung aber in der Kommunikation über ihn stattfindet – die Kriterien für die Bewertung werden gemeinsam erarbeitet. Im letzten Akt wird wieder in den solitären Modus umgeschaltet, weil jede:r Konsument:in für sich entscheiden muss, ob das Produkt gekauft wird. Das letzte Urteil wird allein getroffen, ich kann, darf und muss für mich selbst bestimmen, ob ich etwas nützlich finde oder nicht und mein Geld dafür ausgebe.

Beim Markenwert, wer hätte es gedacht, ist das nicht so einfach – oder umgekehrt: erschreckend einfach. Wir lassen es an dieser Stelle bei dem Balenciaga-Beispiel und stellen dahin, ob das Vorhaben wirklich aufgeht; es gibt zumindest einige Indizien, die dafür sprechen. Entscheidend ist, dass der Markenwert ein anderes Territorium beherrscht. Er lässt sich nicht auf klasssisch rational begründete Leistungen runterbrechen, denn seine Herkunft wie auch sein Ziel ist der ungreifbare, bodenlose Raum der sozialen Übereinkunft selbst. Er ist eben nicht, wie der Gebrauchswert, ein intimer Wert, der sich an einer persönlichen Definition des Nutzens hochziehen lässt. Selbst wenn vom oft beschworenen »Vertrauen« und der hohen Qualität großer Marken die Rede ist – ihr Wert ist eine rein soziale Angelegenheit, die sich nur in den Augen anderer Leute abspielt.

In der alltäglichen Praxis des Konsums sind die Übergänge zwischen den Motiven des Gebrauchs und der Marke, wie sollte es anders sein, fließend. Eben weil der genaue Herkunftsort des Gesamtwertes nicht auszumachen ist, schlagen wir uns permanent damit herum, Gebrauchs- von Markenwert zu unterscheiden. Das Marketing der Unternehmen verrührt die ‘harten‘ Produkteigenschaften mit wohlklingenden und gut aussehenden Markenversprechen zu einem schwer durchschaubaren kommunikativen Brei. Die Aufgabe der Konsument:innen besteht darin, die ‘eigentlichen’ Leistungen – den Gebrauchswert – von den Werbeversprechen zu separieren, um eine bessere Sicht auf das Produkt zu kriegen.

Was uns im Angesicht der Ware aber immer noch zu entwischen droht, sind ihre politischen Implikationen. Ethische und planetarische Werte, die nicht der persönlichen Bedürfnisbefriedigung folgen, müssen woanders bezogen werden, man braucht ein nicht-ökonomisches Wissen, um den eigenen Verbrauch nochmal anders zu betrachten. Die Unterscheidung von Gebrauchs- und Markenwert hilft zumindest dabei, unnötigen Quatsch von totalem Quatsch zu unterscheiden.