»Manufaktur« als Argument und Symptom

Mittelmäßig Handgemachtes überall. Ein Werbeargument, sicherlich. Vielleicht aber auch Symptom eines Willens zu mehr Nachhaltigkeit.

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Preisfindung

Wer ein gewöhnliches Objekt zu einem hohen Preis verkaufen möchte, muss diesen Preis erklären. Das ist die Aufgabe von Werbung oder, wie man heute seltsamerweise sagt, Kommunikation. Warum kostet dieser Stuhl, dieser Kugelschreiber, diese Zahnbürste das Vielfache eines vergleichbaren Modells bei Kodi oder Ikea? Jedes Bild und jeder Satz ist Teil einer übergroß angelegten Beantwortung dieser Frage.

Man kann das über das Was der Produkte abwickeln, also beispielsweise Design, Funktionalität und Material, oder darüber, wie und wo sie gemacht werden. Es geht dann um Tradition, handwerkliche Meisterschaft, lokale Verankerung, Fürsorge für die Mitarbeiter/innen etc. Unternehmen und Produkte werden mit einer klaren Herkunft und korrekter Produktionsweise ausgestattet, im Unterschied zu anonymen Waren, die aus den Tiefen des Nichts (aka China) von großen Händlern veräußert werden.

Premium medioker

Die Allgegenwärtigkeit der Geste wird entsprechend problematisch für tatsächliche Manufakturen. Alle können sich bei einem breit etablierten, visuellem und rhetorischen Vokabular bedienen, sodass auch mittelmäßige Produkte und Dienstleistungen entsprechend aufgehübscht werden. Dafür hat Venkatesh Rao die schöne Bezeichnung “premium mediocre” erfunden: Starbucks-Kaffee, 95 Parker-Punkte Wein im Discounter, handgemachtes Hähnchenfilet bei KFC, Gourmet-Sandwiches im Kiosk, made.com.

Das ‘echte’ Premium muss sich also noch stärker differenzieren, um das höhere Preisniveau zu rechtfertigen. Im Prinzip gilt es nun, jedes einzelne Teil der Herstellungskette aus der Anonymität zu holen, der Kontext des Handgemachten muss permanent mitgeführt werden und mindestens spürbar, besser noch zähl- und sichtbar sein. Ansonsten droht die Gemeinmachung mit hohlen Marketing-Behauptungen.

Dieser Realitätsdruck ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zum Einen werden die Distinktionsversprechen, die man der Kundschaft über diese Formel andienen möchte, schal. Wer sich z.B. mit Authentizität schmücken möchte, aber nur Trendagentur-Optik bekommt, steht dumm da  – oder muss die Mittelmäßigkeit der Produkte akzeptieren und hoffen, dass niemand es merkt.

Symptom für Nachhaltigkeit

Zum Anderen lässt sich Manufaktur als Symptom einer Zukunft lesen, in der alle Aspekte der Unternehmenspraxis zur Vertrauensbildung herangezogen werden. Wenn eine solche Gestik tatsächlich die Kaufbereitschaft erhöht, könnte sie doch nützlich sein, um die wirklich drängenden Themen der Gegenwart nach vorne zu bringen: Ausbeutung von Rohstoffen, Umweltverschmutzung, Lohndumping, Kinderarbeit etc.

Solche ethischen Kriterien sind in der Breite des Marktes praktisch immer noch irrelevant. Sie werden gerade nicht als Marketing-Argumente eingesetzt, da sie als unsexy gelten, nur schlechte Laune machen und man zudem als Moralimperialist abgestempelt wird. Es ist jedoch besser, sich von gewissen Milieus beleidigen zu lassen, statt den Karren weiter in den Dreck zu fahren. Wenn mein schlechtes Gewissen mir hilft, bessere Kaufentscheidungen zu treffen, hat es seinen Zweck erfüllt.

Langfristig aber ist das Marketing gefordert, ethische Kriterien in den Köpfen der Kundschaft zu verankern. Sie müssen als begehrenswert ins Bewusstsein einziehen und auch das Distinktionsbedürfnis informieren, ansonsten wird sich nicht viel ändern.