Falsche Subjekte. Marken als Menschen

Über produktive Fehlschlüsse menschlicher Metaphern

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Das Konzept »Marke« ist der heilige Gral des Marketing. Leider kriege ich von den allgegenwärtigen und abgenudelten Ratgebersätzen, die aus diesem Gral rauslaufen, regelmäßig Magenverstimmung. Das gilt für mich als Konsument, mehr noch aber als Mitstrickenden in einer Welt, die wie besoffen von sich selbst und dem Glauben an die Relevanz ihrer Arbeit die vielbeschworene „Macht der Marken“ propagiert. 

Man muss anerkennen, dass der zuweilen lachhafte Ernst, mit dem Marketingmenschen versuchen, die notorische Wolkenhaftigkeit von Kommunikation zu formalisieren, nicht wenige Arbeitsplätze geschaffen hat – inklusive meinem. Schön anzusehen ist das trotzdem eher selten. Legionen von Expertïnnen bringen monströse Maßnahmenkataloge in Stellung, damit wir unser Geld gerade diesem oder jenem Unternehmen geben. Hoffentlich. Sie nennen es Kundenbindung.

In Menschen denken

Die übergroßen Stichworte der Markenführung lauten „Lebensgefühl“, „identifizieren“, „Emotionen“, „Vertrauen“ – so rauschen sie hier auch gerade aus dem Fernseher raus, gesprochen von einem, siehe Bauchbinde, „Marken-Strategen“ des multinationalen Werbekonzerns Publicis namens Arne Brekenfeld, der locker und falsch runtererklärt, warum McDonald’s so erfolgreich ist.

Das Marketing im Allgemeinen und diese Sprache im Besonderen wollen eine Marke zu einer Personality machen. Aus dem Jahr 1990: „Man bringt uns bei, daß die Unternehmen eine Seele haben, was wirklich die größte Schreckens-Meldung der Welt ist.“1

»Brand Voice«, »Brand Identity« – die Referenz für das Verständnis einer Marke, ihr Modell ist der Mensch. Das kann der Mensch ja bekanntlich ganz gut: Menschen sehen, wo keine sind. Tonalität, Aussehen, Stimme, Haltung: Hier wird anthropologisiert, dass sich die Balken biegen.

Marken als Subjekte zu modellieren bietet den Vorteil, sie als beziehungsfähig zu denken. Die entsprechenden Business-Begriffe lauten »Customer Relations« und, noch wichtiger, »Customer Centricity«. Die Kundin bildet das Zentrum, auf das sich das Agieren der Marke ausrichtet, um eine Verbindung herzustellen – was auch immer das heißen mag.

https://youtu.be/1mET6Egsjko

Adressen für Kommunikation

Es gibt selbstverständlich Gründe dafür. Ich würde es, ganz platt, Verlegenheit nennen: wie soll man dieses Gemengelage aus Unternehmen, Produkten, Marketing, Design, Worten, Bildern, Services etc. sprachlich und logisch unter einen Hut bringen? Wie adressiert und konstruiert man den offensichtlichen Zusammenhang dieser doch sehr unterschiedlichen Dinge, wenn es sowohl um die Aufgaben von Unternehmen als auch die Perspektive von Kundïnnen geht?

Das Konzept der Marke ist vor diesem Hintergrund eine praktische Verkürzung, eine Eindampfung, eben jene vielbeschworene „Reduktion von Komplexität“. Wer (Subjekt!) oder was ist das, mit dem die Kundïnnen zu tun haben? Wie kriegt man dieses ökonomische Gegenüber zu fassen?

Greift man kurz ins theoretische Register, handelt es sich bei Marken um

Adressen als Mechanismen der Lokalisierung in einem globalen Kommunikationssystem. Adressen konstituieren lokale Punkte der Zurechnung von Kommunikation. Sie erlauben es festzulegen, wer etwas gesagt hat, wer damit gemeint war und wen man künftig in einer Angelegenheit ansprechen möchte.2

Diese Abstraktion liefert den Dreh, Kommunikation – und um nichts anderes geht es im Marketing – nicht als exklusiv menschliche Angelegenheit zu begreifen. Marken, Computer, Algorithmen, Tiere, Dinge; alle sind an der Zirkulation von Zeichen und Sinn beteiligt.

Die Marke ist dann, wie der Mensch, nur eine audiovisuelle Verlautbarungsinstanz unter anderen. Sie ist ein Knoten in der Kommunikation, der rafft und verschluckt, was sich als Gemengelage (s.o.) hinter ihr verbirgt. Die Intention: Konsum ankurbeln, d.h. die Wahrscheinlichkeit des Kaufens zu erhöhen. 

Stabilisierung

Die Mensch-Metapher der Marke erlaubt dem Marketing, diese abstrakte Funktionalität einfacher und konkreter zu bearbeiten. Anhand der Figur des Menschen lässt sich leichter und schneller darüber sprechen, was die Marke ist, was sie sein will und wie die jeweiligen Oberflächen gestaltet sein müssen, um die Markenidentität zu stabilisieren.

Ziel ist, eine runde, konsistente Customer Experience an allen Touchpoints sicher zu stellen. In den heutzutage ständig wechselnden Kommunikations- und Werbeumgebungen soll jeder Text, jedes Bild, jede Interaktion im Einklang mit dem imaginierten Markenkern sein und auf diesen einzahlen. 

So versucht das Marketing, die Marke zu einer stabilen Persönlichkeit zu machen. Wiedererkennung, Nähe, Verlässlichkeit – diese klassischen Human-Attribute erzeugen Vertrauen und befeuern damit letztlich den Konsum, so die Rechnung.

Identität, operative Fiktion des Marketing

Dabei hat eine Marke keinen Körper und kaum eine Gestalt – ein Logo mag als Signatur hinreichen, mehr aber nicht. Die Marke ist ein Amalgam, das aus zig unterschiedlichen Aspekten zusammengesetzt ist und sich mit jedem Kundenkontakt im jeweiligen Kontext frisch aktualisiert. Genau diese Dynamik ruft ja das Marketing auf den Plan, um nämlich die Fragilität dieser Momente zu kontrollieren, damit es keine unerwünschten Ergebnisse gibt.

Angesichts dieser Verfassung – Gemengelage, Amalgam – wirkt es einigermaßen albern, von einer Identität zu sprechen. Aber gerade die Fragmentierung der wahrnehmbaren Markenrealität macht es notwendig, sprachlich und konzeptionell am Modell der Identität festzuhalten. Sie ist eine operative Fiktion, die dem Marketing hilft, Leitplanken für Gestaltung, Tonalität und Verhalten in den unterschiedlichsten Situationen aufzustellen.

Möchte man aber die Realität von Materialien, Räumen und Vernetzungen der Marken adäquat abbilden, bräuchte man ein anderes Verständnis und neue Begriffe.

Das wäre übrigens auch näher an der Realität der zeitgenössischen Subjekte in Menschengestalt. Es wirkt ja einigermaßen anachronistisch, bloß aus Steuerungsgründen an rigiden Identitätsvorstellungen festzuhalten, wenn man bedenkt, dass (ok das große Wort) die Moderne sich vor allem darum dreht, Identitäten zu verflüssigen. Schon ein Blick auf die wunderbare Zerlegung tradierter Gendervorstellungen dürfte klar machen, wohin das unsere Gegenwart geführt hat.

Nach Customer Centricity

Es gibt einen weiteren Grund, nach neuen Metaphern und Beschreibungen Ausschau zu halten. Noch dominieren die Subjekte den Konsum, seien es Menschen oder Marken. Wer aber ein wenig optimistisch in die Zukunft hinein spekuliert, kann das Ende der der Customer Centricity schon erkennen.

Wenn die Egos der Menschen zurücktreten, weil sie ihre Abhängigkeit von Umwelten (Klima, Räume, Gemeinschaften) begreifen, dürfte sich die Motorik des Konsums nachhaltig verschieben – und mit ihr das Kommunikationsverhalten von Unternehmen. Die Mensch-Metapher wird dann auf der Strecke bleiben, was eine gute Nachricht ist.

Cars passing by an empty chair
  1. Gilles Deleuze. Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. 1990
  2. Rudolf Stichweh. Adresse und Lokalisierung in einem globalen Kommunikationssystem. In: ders. Die Weltgesellschaft. 2000