Wie schafft es die Industrie, dass man sich als Käufer:in einer massenhaft angefertigten Ware – oberhalb von Direct-to-Order und unterhalb von Klopapier – auf irgendeine Art »besonders« fühlt?
Diese Frage stellt sich entlang der These von Andreas Reckwitz, die er in seinem Buch »Die Gesellschaft der Singularitäten« entwickelt und die sich ja viele Marketing-Abteilung zu Herzen nehmen: die im 20. Jahrhundert betriebene Standardisierung des Allgemeinen ist nicht mehr attraktiv, sondern das Besondere, Einzigartige und Authentische. Güter, Dienstleistungen und Erlebnisse werden zunehmend nach ihrer Einzigartigkeit beurteilt, weniger nach ihrer Funktionalität.
Eine mögliche Antwort ist mir neulich über den Weg gelaufen, als ich mal wieder eine Schallplatte gekauft habe. Die klassische, schwarze Vinyl-Standardversion kommt einem fast wie die eigentliche Rarität vor – zwischen all den farbigen, durchsichtigen, gesprenkelten oder handnummerierten Editionen. Exklusivität ist paradoxerweise nicht mehr das Ergebnis von Verknappung, sondern vervielfältigt sich in der Breite, durch die Produktion zahlloser »limitierter« Versionen.
»Endless Rüttenscheid« von International Music gibt es beispielsweise in 4 Editionen: Eine orangefarbene, direkt von der Band, handsigniert. Der kleine, szenebekannte Plattenladen Flight 13 bietet eine gelbe Edition an, der größere, sich aber immer noch subkulturell verstehende Händler HHV eine violette, und beim Mainstream-Shop JPC landet schließlich die durchsichtige Variante. Und im globalen Pop, z. B. bei Lana Del Reys »Did You Know That There’s A Tunnel Under Ocean Blvd« oder Tyler, The Creators »Igor«, ist die Zahl der Editionen und Cover-Varianten kaum noch zu überblicken.
Eine Limited Edition ist so zugleich Signal und Nebelkerze. Sie signalisiert Knappheit – der man aber nicht ansieht, dass sie eine eingeschränkte ist. Die Existenz weiterer Editionen konterkariert die Knappheitsbehauptung und ficht ihre Singularität an. Für die Jäger des besonderen Objekts entsteht eine ordentliche Portion Unsicherheit: Wer kann schon sagen, welche Ausgabe sich als die »wichtigste« herausstellen wird?
Ob und wie erfolgreich diese Strategie in ökonomischer Hinsicht ist, weiß ich nicht; ihr gehäuftes Vorkommen spricht aber dafür. Die serielle Produktion von Singularitäten steigert die Zahl der Kaufanreize, indem mehr vom Besonderen angeboten wird. Das Besondere vervielfältigt sich, ohne seinen Status einzubüßen.
Kulturell werden die Möglichkeiten zur Individualisierung sowohl gesteigert als auch relativiert. Unter den Auskenner:innen mag die schwarze Standardversion so aber tatsächlich als Distinktionsgarant gelten – indem man sich dem Spiel der Limitierung demonstrativ verweigert. Nur: wo und bei wem könnte man damit flexen?