Müll verwandeln mit ebay Kleinanzeigen

Über Kleinanzeigen-Frust und moralische Unstimmigkeiten bei der Abfallentsorgung.

In: Produkt, Text Reading Time: 3 min

Neulich hat unsere Bürogemeinschaft ihr Mobiliar erneuert. Im Zuge dessen wurden die alten Tische aussortiert und auch der in den Abstellkammern, Regalen und Ecken schlummernde unnütze Kram hervorgeholt, um entsorgt zu werden. Wohin nun damit?

Solange die Dinge halbwegs brauchbar erscheinen, will man sie ungern zur Müllkippe bringen. Vor allem, um Stress und Aufwand zu sparen. Also greift man zur Kleinanzeige: verschenken und verkaufen, letzteres nach dem Flohmarkt-Prinzip: möglichst günstig, Hauptsache weg.

Ich weiß nicht, wie oft ich schon vergessen habe, dass man sich mit diesem Vorhaben deutlich mehr Arbeit und Ärger einhandelt, als eine Fahrt zum so genannten Wertstoffhof je bedeuten würde (ganz zu schweigen von dem äußerst befriedigenden, so aber leider verpassten Moment, die Sachen mit Schwung in den Container zu werfen). In der naiven Hoffnung, dass es dieses Mal besser läuft, werden doch wieder Fotos gemacht, ein Minimaltext geschrieben, die Anzeige geschaltet. So weit, so überschaubar.

Das zu verschenkende Metallregal hatte innerhalb einer Minute vier Anfragen. Wie machen die Leute das? Haben die, wie an den Börsenplätzen, fünf Monitore offen, auf denen sie permanent ihre Suchanfragen überwachen? Die Sprache ist ebenfalls sensationell, 50% hauen einem Kauderwelsch entgegen, dass es eine Freude ist. Und, nein: geht man von den Namen der Interessierten aus, hat das nichts mit einem möglichen Migrationshintergrund zu tun.

Vier Anfragen, wem also den Vorzug geben? Vermutung und Hoffnung: wer Begrüßung und Verabschiedung hinkriegt (LG reicht ja), ist vielleicht auch halbwegs zuverlässig, was die Abholung angeht. Sie ahnen es: nein. 50 Chat-Nachrichten und 5 Telefonate später ist alles noch an seinem Platz. Ich schaff es doch nicht, mein Bruder hatte keine Zeit, ich kann es aber morgen sofort abholen, geht es vielleicht doch etwas später, wie wäre es übermorgen, mein Mann muss erst noch zum Arzt, aber Sie geben das Regal doch niemand anderem oder auch das gern genommene niemand-erscheint-zum-verabredeten-Termin.

Ja, die Leute sind beschäftigt, Umstände und Termine ändern sich. Trotzdem regt es mich wahnsinnig auf. Wieso können die sich nicht kurz in Ruhe hinsetzen und sich ernsthaft fragen, ob sie das Ding wirklich haben wollen und wann sie es realistischerweise abholen können?

Gemessen an der Menge der gescheiterten Versuche liegt der Fehler aber offensichtlich bei mir und meinen Erwartungen. Warum bringt mich dieses dauernde Nichtgelingen so auf die Palme?

Zu schenken bzw. schenken zu wollen ist ein moralischer Akt. Man sonnt sich darin, jemandem etwas Gutes zu tun und, in diesem Fall, auch noch Müll zu vermeiden. Ein doppelter Gewinn: das Böse unterlassen, zugleich das Gute getan.

Der eigentliche, viel schnödere Wunsch bei solchen Kleinanzeigen ist aber, dass mein Müll in eine Wertsache verwandelt wird. Denn zunächst habe ich ja definitiv Abfall produziert, das steht außer Frage. Findet der Müll gewordene Tisch jedoch einen Interessenten, wird er wieder Tisch, bekommt also seine Funktion und damit seine Daseinsberechtigung zurück.

Ich gehe offensichtlich davon aus, dass mein Müll für jemand anderen eine Wertsache sein könnte. Das ist im Grunde arrogant und klassistisch.

Es ist auf der anderen Seite wiederum auch total in Ordnung, wenn dieser Plan gar nicht erst aufgeht, wenn sich absolut niemand auf die Anzeige meldet. Die (weniger vermögende) Öffentlichkeit und ich sind uns dann nämlich einig: der Tisch ist Abfall, er kann weg. So habe ich die moralische Verfehlung, Müll produziert zu haben, auf mehrere Schultern verteilt und die Entwertung des Objekts vergemeinschaftet. 

Wird aber die Kommunikation zwischen Anbieter und Interessent angeworfen, steht das Versprechen im Raum, den Müll tatsächlich verwandeln zu können. Und mit jeder Nachricht, die nirgendwohin führt, mit jeder gescheiterten Terminabsprache wird diese Kommunikation zu einer sich ausdehnenden Zone der Frustration, in der sich die gebrochenen Versprechen stapeln. Dabei spiegelt mir nur jeder Rückzug einer Interessentin, dass es anmaßend war, meinen Abfall als Wertsache andienen zu wollen.

Woanders mag das funktionieren, aber nicht auf ebay Kleinanzeigen. Auch wenn die Leute etwas länger brauchen, um den Abfall als solchen zu erkennen – am Ende lassen sie ihn liegen.