Objekt-Management. Camping, KonMari, Minimalismus

Den Überfluss der Dinge kontrollieren: Camping und Minimalismus als zwei Methoden, um über die Materialschlacht des Lebens nachzudenken.

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Die Leute wissen nicht mehr, wie man aufräumt. Dinge anzuhäufen, das ist kein Problem. Die prall gefüllten Dachböden und Keller unserer Eltern und Großeltern – sofern sie wohlhabend genug waren, ein Haus zu kaufen – bezeugen es. Sie sind das Ergebnis 70 Jahre währender Kauf- und Hortlust, deren Folgen nun bewältigt werden müssen.

Noch schwerwiegender ist, dass die ziemlich genau mit der Einführung des Euro eingeführten 1-Euro-Shops dafür gesorgt haben, dass auch die kleineren Geldbeutel mittlerweile mächtig genug sind, die Wohnungen mit Krempel anzufüllen. Alle haben zu viel Zeug, Ratlosigkeit macht sich breit. Wie werde ich den Kram wieder los?

Dinge verwalten, oder auch nicht

Alle befinden sich im Dauerzustand des Objekt-Managements. Was brauche ich, was brauche ich vielleicht irgendwann, was passt nicht mehr, hat einen sentimentalen Wert, ist definitiv kaputt, zu schade zum Wegwerfen usw. Sollen einem die Dinge nicht über den Kopf wachsen, müssen sie in Schach gehalten werden.

Frei ist nur der Messie, das Schreckgespenst der Ordnungsliebenden. Er hat sich aus dem Rennen verabschiedet und in der Masse seine Materials eingerichtet. Vielleicht hat er kapitulierend aufgegeben und fügt sich ohnmächtig seinem Schicksal. Vielleicht aber geben ihm die Dinge einfach Halt, verorten und verankern ihn, schaffen Sicherheit und Ruhe. Wie den meisten von uns.

Aufräumen als Programm

Unsere Ökonomie hat nie konkret vorgeschlagen, wie wir mit dem Überhang der Dinge umgehen sollen. Die einzige, ziemlich dämliche, dabei nie laut ausgesprochene Direktive lautet immer noch „Wegwerfen“. Aber auch das ist schwierig geworden, wenn man sieht, dass weite Teile der Gesellschaft eigens aufgesetzte Programme brauchen, um eine vormals kaum publikationswürdige Handlung auf die Reihe zu kriegen. Dem Aufräumen ist die Selbstverständlichkeit abhanden gekommen. Man braucht Anleitungen, Motivationen, Überbau, Skripte.

Wie versucht die Gegenwart das Aussortieren zu begründen und zu motivieren? Unter dem Schlagwort »Minimalismus« einerseits und dem Namen »Marie Kondo« andererseits finden sich zwei relativ ausformulierte Skripte, die uns zur Reduktion an die Hand gegeben werden.

Als dritter Vergleichspunkt soll die Mutter dieser beiden ungleichen Kinder zu Rate gezogen werden: das Camping. Als historischer Vorläufer bietet es eine Urszene des Überfluss-Managements sowie des Lebens im Kram. Gerade weil Camping keine ausdrücklichen Anweisungen fürs Aufräumen gibt, zugleich aber mitten im Thema steht, sind die neueren Verwaltungsroutinen darin nicht nur angelegt, sondern auch deutlicher zu erkennen.

KonMari™: mit Affekt bewerten

Die japanische Originalausgabe des Beststellers „Magic Cleaning“ erscheint 2011. Acht Jahre und ungezählte Beiträge, Adaptionen und Weiterentwicklungen später findet die Aufmerksamkeit für Marie Kondos Aufräum-Methode »KonMari« ihren vorläufigen Schlusspunkt in Form einer eigenen Netflix-Show.

Kondo bietet ihren AnhängerInnen im Grunde nur eine einfache wie geniale Frage, mit der jeder Gegenstand überprüft werden soll: Does it spark joy? Jedes einzelne Ding soll in die Hand genommen und begutachtet, d.h. auf sein Affekt-Potenzial hin untersucht werden. Lautet die Antwort »Ja«, darf es bleiben. Ansonsten: weg damit.

Trotz aller psychohygienischer und lebensphilosophischer Versprechen, die auch hier mitgeliefert werden, handelt es sich um ein relativ praktisches und niederschwelliges Programm. JedeR kann sofort anfangen, den eigenen Bestand auszumisten.

Kondos Methode, darin besteht ihre Attraktivität, lässt den Leuten die Dinge, die sie besitzen. Der Befehl, den sie gibt, ist nicht negativ formuliert, im Sinne von: wirf Unnötiges weg! Stattdessen schlägt sie vor, das eigene Unbewusste nach positiven Reaktionen abzuklopfen. Behalte nur und ausschließlich die Sachen, die einen angenehmen nichtsprachlichen Reiz in dir auslösen.

Darin sieht auch Kondo selbst den Unterschied zum Minimalismus: „Minimalism advocates living with less; the KonMari Method™ encourages living among items you truly cherish.“

Minimalismus™: Existenz-Bilder

Lifestyle-Minimalismus hingegen bedarf eines anderen ideologischen und finanziellen Unterbaus (für Selbstdarstellungen siehe z.B. hier und hier).

Der wichtigste Unterschied zu KonMari sind die Bilder. Minimalismus lebt von Gestaltung und Inszenierung. Wer bei instagram sucht, findet die Farbe Weiß in unangenehmer Aufdringlichkeit (Sie wissen, was das heißt), jede Menge Möbel, Kleidung, Accessoires, die üblichen Tattoos und Naturbilder – alles im Singular. Unter KonMari gibt es eher den Plural der Dinge zu sehen, in wohlfeiler Ordnung.

MinimalistInnen, so darf man vorsichtig formulieren, haben gesteigerte Distinktionsbedürfnisse. Bilder sind im Zuge dessen zentral und operational, d.h. sie sind Anweisungen für diejenigen, die minimalistisch leben wollen. Die Verweigerung des Konsums mündet zwar in der Aufforderung, wenige Dinge zu besitzen. Diese müssen aber äußerst sorgfältig gewählt, also von Neuem konsumiert werden. Es geht weniger um das Aus-Sortieren des Vorhandenen, sondern um den Konsum von neuen, ästhetisch überzeugenden Produkten.

Während Kondo also die Objekt-Libido auf den Bestand lenkt, erfordert der Minimalismus die Produktion eines ganzen Environment.

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Camping: Pragmatik statt Programm

Jenseits dieser beiden Organisationsrahmen gab und gibt es schlichtere Anlässe und Notwendigkeiten, Zeug zu verwalten, wie etwa Umzug oder Renovierung. Camping folgt ebenfalls einer pragmatischen Idee, ist aber aufgrund seiner raumzeitlichen Geschlossenheit ein spezielles Mikrotheater der Gegenstände.

Das mobile Zuhause ist klein, man will trotzdem gut darin darin leben – ist ja schließlich Urlaub –, also müssen die Dinge zunächst mal der Alltagsbewältigung dienen. Camping beginnt, anders formuliert, mit einer Haushaltsprüfung. Wie lebe ich eigentlich? Was in meinem alltäglichen Leben ist so zentral, dass ich auch im Urlaub nicht darauf verzichten möchte? Welche Dinge benötige ich zur Aufrechterhaltung dieses Lebens? Worauf, umgekehrt, kann ich also »eigentlich« verzichten?

Camping fragt vor allem nach dem Gebrauchswert der Dinge. Ihm gemäß entscheidet sich, was mitgenommen oder zuhause gelassen wird. Dieser Idee des Gebrauchswerts entzieht sich Marie Kondo geschickt, indem sie nur auf den Affekt-Wert setzt.

Das kann in der Praxis zu skurrilen Wirrungen führen. Ich empfinde keine Zuneigung für meinen Dosenöffner – soll ich ihn wegwerfen? Aber warum? Weil er nicht gut funktioniert oder schlecht aussieht? Weil Dosen ohne Lasche so selten geworden sind, dass ich ihrem Inhalt misstraue? Oder weil eine tief sitzende, bislang unbekannte Abneigung gegen Konservennahrung an die Oberfläche meines Bewusstseins geschwommen ist?

Sag »Ja« zu den Dingen

Die Zusammenstellung des Reisehaushalts ist besonders schwierig für die, die am liebsten alles mitnehmen würden. Für andere können die wiederholten Ja/Nein-Entscheidungen eine freudige Sequenz kleiner Befreiungen sein. Schließlich wirft man ja nichts weg, sondern »kuratiert« nur für einen begrenzten Zeitabschnitt, von dem man weiß, dass am Ende wieder der pralle Überfluss wartet.

Das »Nein« zu den Dingen mag in den Momenten des Verzichts lauter sein und unangenehmer wirken. Aber neben jedem »Nein« liegt ein stilles, lustvoll gedachtes »Ja«: Ja, ich will dich und dich und dich, und du kommst auch mit: Teller, Gläser, Korkenzieher, Bier, Wein, Brot, Schokolade, Hose, Schuhe, Bücher, Spiele, Klopapier.

Man breitet das Besteck des eigenen Daseins in kindlicher Begeisterung vor sich aus, erfreut sich an den Dingen, die einen begleiten und ruft ihnen immer wieder gut gelaunt zu: »Klar, du bist auch dabei!«

Yes, it does spark joy.

Instagram IRL

Der gut ausgestattete, mitteleuropäische Campingplatz ist dann Social Media in real life. Die Wohnwagen stehen dicht an an dicht, unter ihren Markisen sind ausgewählte Habseligkeiten der CamperInnen ausgestellt.

Ich kann an den wie Instagram-Kacheln aufgereihten Schaufenstern vorbei schlendern und schauen, was die NachbarInnen so im Repertoire haben. Dieses unterscheidet sich (von wegen Aussortieren) allerdings kaum mehr von den Dingwelten bundesdeutscher Hausküchen: Mikrowelle, Kaffeemaschine, Satellitenschüssel, Wäscheständer, Plastikteppich, Besen. Hat jemand »Verzicht« gesagt? Alles ist voll mit dem üblichen Kram – nur outdoorspezfische Gimmicks deuten darauf hin, dass man nicht im Eigenheim ist.

Wer mit einem klapprigen Bulli oder, noch schlimmer, nur mit Zelt unterwegs ist, kriegt maximal einen sentimentalen, eher einen abschätzigen Blick zugeworfen. Die soziale Kontrolle funktioniert gemäß der Regeln eines deutschen Vororts.

Die wechselseitige Beobachtung der TeilnehmerInnen von Minimalismus und Camping findet also in unterschiedlichen Medien statt, gehorcht aber den selben Kriterien: besitzt man die richtigen Dinge? Erfüllt man die geforderten Standards? Gehört man dazu?

Camping und Minimalismus als Wohlstandsverheimlichung

Camping ist beliebt und teuer. Für alte VW-Busse werden absurde Preise aufgerufen, Wohnwagen und Wohnmobile sind noch kostspieliger. Kombiniert man diese Investitionskosten mit den Gebühren für einen Stellplatz, wird deutlich, dass es sich beim Camping nicht (mehr) um alternativen, günstigen Urlaub handelt.

Der Deutsche zeigt seinen Wohlstand ja lieber diskret – besser nicht protzen, sondern Demut vortäuschen. Da passt der Campingurlaub gut ins Selbstbild. Das ziemlich homogene Publikum der Hartwand-CamperInnen genießt das Paradox, sich bei größtmöglichem Komfort in Bescheidenheit spiegeln zu können. Quantität und Qualität der Dinge berichten von Wohlstand, bei gleichzeitiger Behauptung des einfachen Lebens. Das geht am besten mit frisch aufgebrühtem Filterkaffee im bruchsicheren Becher und akkurat gefegtem Plastikvorleger unter den Füßen.

Der Fetisch der MinimalistInnen ist hingegen Entbehrung, Reduktion, Strenge. Diese ist aber nicht das Resultat ökonomischer Not. Es mag den ein oder anderen Angehörigen des Prekariats geben, der aus Geldmangel eine Tugend zu machen versucht, d.h. seine Armut hinter dem Reichtum der anderen MinimalistInnen versteckt. Die Objekte selbst – MacBooks, Karbon-Fahrräder, mid century modern-Möbel – erzählen etwas anderes. Auch hier wird von Wohlstand berichtet, allerdings mit anderem Code.

Für Camper wie Minimalisten gilt: Bescheidenheit muss man sich leisten können.

Unendliche Weiten eines Schnabels

Ein freundlicher, zurückhaltender Pelikan, der erstmals im 1951 veröffentlichten Kinder-Comic Petzi erscheint, bringt die Sehnsüchte von CamperInnen und MinimalistInnen auf ein Bild. In kurzen Geschichten fahren der namensgebende Titelheld sowie Pelle und zwei weitere Freunde auf einem Schiff namens Mary »um die Welt«, treffen allerlei Tiere und erleben Abenteuer, in denen häufig etwas gebaut werden muss.

Dazu braucht man Werkzeug, und da kommt Pelle ins Spiel. Er kann aus seinem Schnabel jedes gewünschte Objekt herbeizaubern, das die Geschichte gerade benötigt: Schaufel, Bohrer, Säge, Ball, Hammer usw. Sein Schnabel ist ein unendlicher Lagerraum, aus dem sich alles nur Erdenkliche hervorholen lässt.

Das Schöne an so einer Schnabeltasche ist, dass 1. der Raum keine Einschränkung für die Mitnahme von Dingen darstellt (Camping) und 2. die Dinge keinen Raum einnehmen (Minimalismus). Sie sind einfach nicht da, solange sie niemand braucht.

Diese im Comic beiläufig artikulierte Sehnsucht nach Unabhängigkeit treibt sowohl den Camper wie auch den Minimalisten. Die CamperInnen möchten unabhängig vom Ort sein. Dabei wissen sie, dass es ohne Dinge nicht geht und versuchen, die kommenden Notwendigkeiten vorherzusehen. Wer einen Pelle dabei hat, kennt dieses Problem nicht.

Für die MinimalistInnen liegt das zentrale Versprechen von Pelles Schnabel in der Abwesenheit der Dinge. Ganz im Sinne zeitgenössischer Plattform-Ökonomie bleibt der Pelikan von Besitz unbeschwert und nimmt die Objekte nur dann in Anspruch, wenn er sie benötigt. Es gibt keinen Ballast, keine Platzverschwendung, keine ästhetische Vermüllung. Das Subjekt bleibt Chef.

Tourismus

Dinge sind MitbewohnerInnen. Sie sind unverzichtbar, beständig, schaffen Vertrautheit in den eigenen vier Wänden und spielen eine zentrale Rolle in beruhigenden Routinen und Ritualen. Man richtet sich in ihnen ein, hängt sich in ihre Präsenz.

CamperInnen erzeugen für die Reise ein miniaturisiertes Abbild ihrer Lebensführung, die sie, leicht verschoben, im Urlaub einfach fortsetzen (ohne den Rasen mähen zu müssen). MinimalistInnen versuchen demgegenüber, bereits zuhause kein Gewicht anzusetzen, d.h. Mobilität als dauerhafte Option offen zu halten.

Der Camper macht nur Urlaub vom Wetter. Der Minimalist ist immer Tourist.

Fischmob Allstars, Susanne zur Freiheit

Leck’ mich, wenn man wie ich
Fast täglich um die Welt fliegt
Braucht man Gepäck nicht
Nehm’ lediglich ’n Scheck mit
Denn es wär’ kläglich und unerträglich
Nee, echt nicht, Michi Beck trägt nichts mit sich

Witzig, wenn man wie ich weltweit Kredit kriegt
Braucht man den Shit nicht