Werte. Ökonomie + Kultur

Der Wert ist eine konzeptionelle Brücke, die Geld und Politik miteinander verbindet.

»Wert« ist ein schickes Wort für das Management sozialer Präferenzen. Werte kommen in einer Vielzahl von Kontexten zum Einsatz und sind allgegenwärtig:

  • ein Löffel ist ein wertvolles Werkzeug
  • der Wert einer Ware hat seinen Preis
  • Unternehmen wollen Werte für Kund:innen schaffen
  • Menschen handeln gemäß ihrer persönlichen Werte
  • Bürger und Politiker streiten über gesellschaftliche Werte

Als bereichsübergreifendes Konzept halte ich die breite Durchsetzung und die Leere des Wertbegriffs für besonders produktiv, wenn es darum geht, die Kluft zwischen Wirtschaft und Kultur zu überbrücken. Beide Bereiche bestimmen unser persönliches Leben grundlegend – aber es nur wenige Möglichkeiten, die effektiven Verbindungen zwischen ihnen nachzuzeichnen; sie scheinen eher getrennt voneinander zu existieren. Wir befassen uns mit wirtschaftlichen Werten im Sinne von Preisen, Leistungen und Nutzen – während es auf der kulturellen Seite darum geht, was uns wichtig ist, wie wir leben wollen, was das Richtige ist. Das Konzept des Wertes bietet aber letztlich die Möglichkeit, einen gemeinsamen Nenner für die Unterscheidung selbst zu finden.

Anders ausgedrückt: Für den Durchschnittsbürger erscheint Geld, d.h. der wirtschaftliche Wert, vor allem als Einschränkung. Der Besitz und die finanziellen Möglichkeiten bestimmen, was man tun kann, während man gemäß des alten Kinderlieders noch immer davon ausgeht, dass die Gedanken frei seien – dass unsere Überzeugungen jenseits schnöder Materialitäten existieren. Das ist natürlich Unsinn. Jeder Marxianer würde Ihnen ja sagen, dass »das Sein das Bewusstsein bestimmt«. Dennoch ist es von Interesse zu sehen, wie das funktioniert. Und dafür ist der Konsumismus ein hervorragendes Territorium – vor allem, weil das gesellschaftliche Bewusstsein über seine Auswirkungen auf Planeten, Arbeitende, Gesundheit usw. auf einem Allzeithoch ist. Wie also können wir die Politik des Konsums besser verstehen, indem wir wertorientierte Entscheidungsfindungen verfolgen?

Beginnen wir mit einem Blick auf das mentale Modell des Wertes. Im klassischen wirtschaftlichen Sinne »hat« eine Ware einen Wert. Diese Denkweise beruht auf der Vorstellung – wiederum nach Marx –, dass Waren Kodierungen oder auch Erinnerungen an praktischen Nutzen und menschliche Arbeit sind. Wir haben es mit gegenständlichen Werten zu tun, die mit Produkten verbunden oder in sie eingebettet sind.

Aus der Sicht des Verbrauchers funktionieren ökonomische Werte aber anders. Erstens steht ein Wert nie für sich allein, denn jeder Wert wird dem Wert anderer Objekte gegenübergestellt. Zweitens wird der quasi-intrinsische Wert einer Ware von einem anderen Wert begleitet, der mit dem ersten zusammenhängt, sich aber in seiner Art unterscheidet: dem Preis. Preise übersetzen den gegenständlichen Wert in ein leicht lesbares Format.

Ein Wert hat demnach zwei Gesichter: den objekt-orientierten Wert und dessen Übersetzung in Zahlen. Die Kombination der beiden ermöglicht die Orientierung, den Vergleich und den Wettbewerb zwischen Produkten – der Blick des Verbrauchers oszilliert permanent zwischen Preisen und gegenständlichen Werten, um die Produktlandschaft zu durchschauen. So sind ökonomische Werte Instrumente, mit denen wir unseren Konsum steuern.

In Bezug auf Orientierung und Wettbewerb funktionieren kulturelle Werte auf ähnliche Weise. Erstes Beispiel: Ich steige in mein Auto und fahre, wohin ich will – persönliche Freiheit und Autonomie sind die Werte, die meine Entscheidung leiten. Alternativ kann ich mich auch an ökologischen Werten orientieren – und öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Zweites Beispiel: Als wohlhabender Westler kann ich mich solidarisch verhalten und Geld für einen guten Zweck spenden. Oder ich beschließe, in meine geistige Gesundheit zu investieren – damit ich angesichts all der globalen Krisen nicht verrückt werde.

Genau wie bei Waren können wir den Katalog kultureller Werte durchblättern.1 Wir wählen, was wir bevorzugen, es gibt kein besser oder schlechter, denn ein Wert ist ein Wert, eben weil er soziale Anerkennung repräsentiert. Ich kann egoistisch oder altruistisch handeln, mich auf meinen persönlichen Komfort oder auf das Wohl des Planeten konzentrieren – alles legitim, solange der Wert als Wert gültig ist.

[Die Funktion der Werte] liegt allein darin, in kommunikativen Situationen eine Orientierung des Handelns zu gewährleisten, die von niemandem in Frage gestellt wird. Werte sind also nichts anderes als eine hochmobile Gesichtspunktmenge. Sie gleichen nicht, wie einst die Ideen, den Fixsternen, sondern eher Ballons, deren Hüllen man aufbewahrt, um Sie bei Gelegenheit aufzublasen.

Niklas Luhmann. Die Gesellschaft der Gesellschaft. 1997, S. 341 f.

Orientierung und Wettbewerb sind also die gemeinsamen Nenner der kulturellen und ökonomischen Werte. Offensichtlich sind im Konsum die Preis, als Medium des Wettbewerbs, der »stärkere« Wert. Sie schränken den realisierbaren Raum der kulturellen Werte ein – was dramatisch ist, weil oftmals nicht-egoistische Güter teurer sind. Es ist kostenintensiver und aufwendiger, Rücksicht auf den Planeten zu nehmen, als sich auf den eigenen, individuellen Nutzen zu konzentrieren.

Dementsprechend sind Preise mehr als nur Instrumente, um Produkte zu vergleichen, weil sie den eigenen finanziellen und damit ethischen Handlungsspielraum umreißen. Sie setzen zwei konkrete Grenzen: zum einen die Erreichbarkeit einer Produktgruppe – kann ich mir ein Haus, ein Auto, eine Waschmaschine, einen Wasserkocher leisten? Und zum anderen: kann ich innerhalb einer Gruppe ein anderes Produkt kaufen als das billigste?

Nur wenn Sie diese Fragen mit “Ja” beantworten können, sind Sie in der Lage, Ihr kulturelles Votum abzugeben. Wenn Sie aber darum kämpfen, Ihre Grundbedürfnisse zu decken, können Sie den Markt nicht effektiv über Ihre kulturellen Werte informieren. Sie bevorzugen vielleicht ethisch korrekte Waren – können sie aber nicht bezahlen. (Umgekehrt müsste also der Konsum wohlhabender Menschen fortlaufend auf den Prüfstand gestellt werden. Die Entscheidung, ein teures Auto zu fahren, aber im Supermarkt das billigste Fleisch zu kaufen, ist nicht hinnehmbar.)

Nun ist der Markt leider zu dumm, um das zu verstehen. Er registriert Ihren Kauf nur unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Wertes und lässt kulturelle Implikationen außer Acht bzw. kann sie nur after the fact registrieren. Nach dem Motto: »Na ja, die Leute kümmern sich halt doch nicht wirklich um die Umwelt, sondern achten nur aufs Geld.« Bei dem Satz »Der Kunde ist König« geht es nicht um den Gehorsam eines Unternehmens gegenüber dem Willen der Verbraucher:innen, sondern um eine Ausrede, mit der man sich davon frei macht, sozial- und umweltverträglicher handeln zu müssen.

Von hier aus wird auch klar, warum Müll im Wartestand (billige, »schnelle« Produkte) die Märkte überschwemmen. Wenn zu viele Menschen zu arm wären, um überhaupt eine Wahl zu treffen, könnte die Figur der Konsument:innen als Ganze verschwinden – eine Bedrohung, die mit allen Mitteln abgewehrt werden muss. Denn die Möglichkeit zu wählen, ist der wichtigste kulturelle Wert der Konsumgesellschaft.

  1. Siehe Wolfgang Ullrich. Werte als Konsumartikel. Wie das Marketing unseren Umgang mit Idealen prägt. In: Baßler, Drügh (Hg.). Konsumästhetik. Umgang mit käuflichen Gegenständen. 2018