Beschreibungen von Kriegsgerät

Die Wucht der stillen Lektüre

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Zwei Freunde in einer Chatrunde begeistern sich für Flugzeuge und Raumfahrt. Insofern war nicht überraschend, dass einer der beiden am 23.2.2022, einen Tag vor Beginn des russischen Angriffskrieges, den Luftraum über der Ukraine per App beobachtete. Sein Kommentar zu der im Titelbild gezeigten Drohne: “sind da schon seit Wochen unterwegs”.

Im von ihm verlinkten Wikipedia-Artikel findet sich, klar, eine Beschreibung des abgebildeten unbemannten Aufklärungsflugzeuges (auch so ein Wort). Hier ein Auszug, um einen Eindruck von der Textform zu bekommen:

Die Piloten für Start und Landung befinden sich in der Regel in einer Bodenstation am Start- und Landeplatz. Der Pilot kann während der Mission auch in (weltweit) abgesetzten Bodenstationen sitzen.

Ausgestattet mit hochauflösenden CCD-Kameras für Tages- und Nachtsicht, die auch infrarotempfindlich sind, sowie mit allwettertauglichem Seitensichtradar, kann sie aus bis zu 20.000 Metern Flughöhe jedes hinreichend große Objekt erkennen. In Kombination mit ihrer langen Flugdauer kann sie innerhalb von 24 Stunden ein Gebiet von der Größe Griechenlands komplett aufklären.

Die Tonalität ist grundsätzlich sachlich und nüchtern gehalten. Heißt: der Text zählt die Eigenschaften der Drohne auf, gefolgt von diversen Produktvarianten und Exportversionen.

Produktbeschreibung / Verkaufsabsicht

Die Adjektive “hochauflösend”, “allwettertauglich” und “komplett” sind nun aber schon einigermaßen wertend. Ist das noch eine sachliche Beschreibung oder schon Werbung?

Eine Beschreibung ist für sich noch keine Werbung – aber nahezu jede Werbung nutzt Beschreibungen, um ein Produkt feilzubieten. Der Unterschied zwischen einer Beschreibung und einer Produktbeschreibung liegt letztlich vor allem in der Verkaufsabsicht, da sie die Haltung der Angesprochenen verändert.

Das Wissen um eine Verkaufsabsicht als Kontext der Beschreibung verschiebt ihre Wahrnehmung – denn die Beschreibung will nicht mehr nur sich selbst genügen, sondern ist Mittel zum Zweck. Sie ist ein Hebel, der zum Kauf führen soll. Mit lobenden Adjektiven und punktueller Schönfärberei ist jederzeit zu rechnen, also wird das Gelesene kontinuierlich von gesundem Misstrauen begleitet.

Wikipedia. Nüchterne Rhetorik, sinkende Skepsis

In diesem Sinne ist ein Wikipedia-Eintrag eben keine Produktbeschreibung, denn es fehlt der besagte intentionale Rahmen des Verkaufs. Nichtsdestotrotz ist das Wort »Produktbeschreibung« auch nicht falsch, denn der Artikel listet Eigenschaften, Besonderheiten und Anwendungsgebiete auf, so dass zumindest einzelne Passagen deckungsgleich mit denen des Herstellers sind (ganz zu schweigen vom Kampf um Deutungshoheiten beim Verfassen von Wikipedia-Artikeln).

Da ich aber weiß, dass ich hier gerade nicht auf der Hersteller-Seite bin, also (mutmaßlich) niemand ein direktes Verkaufsgespräch mit mir zu führen versucht, sinken meine Skepsis und meine Hab-Acht-Stellung (worauf letztlich auch die Figur des Influencers basiert). Die quasi-neutrale, enzyklopädische Rhetorik tritt an die Stelle des Vertriebs, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, die abgelegten Informationen in mein Hirn einzubauen.

Normalisierung des Schreckens

Für mich als Leser funktioniert der Wikipedia-Artikel dennoch wie eine getarnte Produktbeschreibung – wenn auch nicht auf der Ebene des Konsums. Denn wie bei jeder Produktrecherche lerne ich etwas über dieses Ding, d.h. vor allem über den aktuellen Stand seiner Technik. Mein Weltwissen ändert sich entlang der realisierten Features des Produktes, d.h. der Markt formt durch sein Angebot die Wirklichkeit im jeweils bespielten Feld, hier: im militärischen.

Einen Toaster mit einer Rakete zu vergleichen ist natürlich bescheuert. Der Lektüre-Effekt aber ist strukturell identisch: Jeder Schrecken, der sich hinter einem sachlich beschriebenen Feature verbirgt, wird in die individuelle Wahrnehmung der Realität eingemeindet, als gegeben akzeptiert. Die Grenzen des Normalen und Erwartbaren verschieben sich ein kleines Stück, es gibt einen Hauch innerer Aufrüstung durch Gewöhnung: aha, das alles gibt es also.

Erschreckend ist dabei nicht nur, was mit dem Kriegsgerät alles angestellt werden kann und wird, sondern auch die Vorstellung, wie potenzielle Käufer:innen während der Produktanalyse ihr Denken auf maximales Droh- und Zerstörungspotenzial ausrichten. Nicht zu vergessen die kalte Zielstrebigkeit der Planer:innen und Ingenieure, die die Features ersinnen und umsetzen.

Nüchterne Drastik

Im Klein-klein der Produktbeschreibungen rückt die kriegerische Dimension in den Hintergrund, denn der Fokus liegt auf den Details. Die einzelnen Fähigkeiten der Geräte erzeugen eine kataloghafte, entpolitisierte Evidenz, die sich vom realen Horror der Nutzung von Kriegsgeräten ablöst.

Parallel dazu wird man auch auf der öffentlich-medialen Bühne an die Präsenz des Kriegsmaterials gewöhnt: Panzerfäuste werden geliefert, Raketen abgeschossen, Flugabwehrsysteme in Stellung gebracht, Maschinengewehre präsentiert. Und wer in die sozialen Medien schaut, kann derzeit wieder sehen, was dieses Arsenal in menschenverachtenden Händen anrichtet.

Demgegenüber erzeugt die Lektüre eines Wikipedia-Artikel eine ruhige, gespenstische Atmosphäre. Man ist eben nicht im Strom der tagesaktuellen Nachrichten und Bilder, sondern befindet sich im Rahmen einer enzyklopädischen Behauptung, man operiert im Nachschlage-Modus, erkundet einen Gegenstand. In dieser Intimität der Lektüre entfaltet die trocken dargebotene Faktizität des Bestehenden eine ganz spezielle Wucht. Die Normalität des Schreckens wirkt umso drastischer, je nüchterner sie daher kommt.


Titelbild: U.S. Air Force photo by Bobbi Zapka · Download via Wikipedia