Fashion Label »LOT«. Nicht/Künstliche Intelligenz

Mitmachen, ohne mitzumachen: LOT ist ein KI-getriebenes Abonnement für anonyme, aber personalisierte Kleidung. Mit seiner Gestaltung von Produkt, Kommunikation und Ideologie ist das Label ein aufschlussreiches Lehrstück in Sachen User Experience Design, indem es das Thema “Distinktion” nicht über die Teile abwickelt, sondern komplett in den Kontext des Labels verlagert. Eine Bilanz nach 8 Monaten.

In: Produkt, Text Reading Time: 7 min

Mitmachen, ohne mitzumachen: LOT ist ein KI-getriebenes Abonnement für anonyme, aber personalisierte Kleidung. Mit seiner Gestaltung von Produkt, Kommunikation und Ideologie ist das Label ein aufschlussreiches Lehrstück in Sachen UX Design, indem es das Thema “Distinktion” nicht über die Teile abwickelt, sondern  in den Kontext verlagert. Eine Bilanz nach 8 Monaten.

Man möchte lieber Kleidung statt Mode sagen, wenn man sich die Teile anschaut: schwarz, ohne exaltierten Schnitt, das Material Baumwolle, ein wenig Kunststoff hier und da. Ungefähr das, was bei den großen Ketten in der Kategorie “Basics” läuft, abzüglich der Farben – es handelt sich um anonymen Industrie-Standard. Es wird also kaum die Ware selbst, sondern muss die Marke und ihr Überbau sein, die die Kunden des Fashion-Labels LOT bei der Stange halten, wenn 1x im Monat ein Paket aus Shenzen eintrifft.

Sympathische KI

Ich bin über diesen Artikel, der sich mit der Verbindung von Mode und künstlicher Intelligenz beschäftigt, auf LOT gestoßen. Bei KI hatte ich bis dahin eher an großrechnerische Unternehmungen wie AlphaGo gedacht statt an dezente Varianten, zu denen LOT gehört.

Die Maschine (um eben nicht Algorithmus zu sagen), ansprechbar über die Website, gibt mir zunächst eine Reihe von Optionen, die ich abarbeite, indem ich Häkchen setze – die Länge der Socken, das Format der Unterhose, die Art des Sweatshirt-Kragens. Üblicherweise würde ich auf einer Website die gesuchte Produktgruppe aufrufen und mir aus den angebotenen Modellen eines raussuchen. Hier läuft es umgekehrt, ich gehe meinen Körper entlang und wähle vom jeweils benötigten Produkttyp eine der verfügbaren Varianten. Eine kleine Umkehrung nur, die aber mich als Person statt das Unternehmen und seine Produkte in den Mittelpunkt stellt.

Was nochmal unterstrichen wird durch eine Körperskizze, die ich mit meinen Maßen personalisiere. Man könnte nun vermuten, dass hier die KI ansetzt und meine Maße nutzt, um individuell zurechtgeschnittene Teile herzustellen. Ist aber nicht so, es handelt sich um ein (noch) ungenutztes Feature. Noch wähle ich die Größen traditionell (L, XL, etc.) und ändere sie ggf. nach jeder monatlichen Lieferung. KI ist hier ein Versprechen auf die Zukunft, mit dem aber schon jetzt Marketing gemacht wird.



Auch die zweite Fähigkeit der Maschine geht in Richtung Individualisierung, ich finde meinen Namen z.B. auf einem Poster und den Schuhen wieder. Der Witz ist, dass das Kleidungsstück an sich gesichtslos ist, aber durch die Intelligenz im Hintergrund personalisiert wird. Aber, wieder einen Schritt zurück, nur durch einen sehr kleinen Aufdruck, der für Außenstehende praktisch nicht wahrnehmbar ist. Die Individualisierung verbleibt im kaum sichtbaren, nichtprotzerischen Bereich.

KI und Vertrauen

Das ganze Künstliche-Intelligenz-Setting wirkt wie ein Gegenentwurf zu den Bedrohungsklischees, die man normalerweise mit ihr assoziiert. Diese Maschine wirkt nicht undurschaubar und boshaft, im Gegenteil: Ich kann genau sehen, was sie kann und macht (und eben auch: nicht). Das schafft Vertrauen. Sie lullt mich so weit ein, dass ich auf extrem persönliche Fragen antworte, die mir bei jedem Besuch der Seite, scheinbar unverfänglich, gestellt werden: Haben Sie Kinder? Kochen Sie? Trainieren Sie? Ich mache mit, obwohl ich keine Ahnung habe, wann, wie und wofür diese Antworten genutzt werden. Was diese Intelligenz irgendwann mit mir gemacht haben wird, bleibt offen. Geschickt.


Arbeit und Umwelt: Die Lieferungen kommen aus Hong Kong, d.h. per Luftfracht. Im Vergleich zum Schifftransport ist das eine Riesensauerei in Sachen CO2-Ausstoß. Schiffe wiederum pusten große Mengen an Schwefel und Stickoxiden raus – ich konnte leider keinen sinnvollen Vergleich der Ökobilanzen von Schiffs- vs. Lufttransport finden, daher belassen wir es an dieser Stelle vorläufig bei Gleichstand.

Die Herstellungsbedingungen sind kein Thema im Marketing, weder in Richtung Mensch noch Umwelt. Bei einem Preis von 50$ pro Sendung darf man aber davon ausgehen, dass es in beiden Abteilungen nicht besonders gut zugeht.

Die grundsätzliche Haltung des Labels zu diesen Fragen scheint zwischen desinteressiert und zwiespältig zu pendeln. Ein gewisses Bewusstsein ist da, so waren im allerersten Paket die Produkte noch in Plastik verpackt, danach wurde umgestellt auf Papier. Wie eine nachgeschobene Mail verdeutlicht, auf Initiative der Kunden hin. Genauso fordert der Code of Practice, langfristig zu denken – will an anderer Stelle aber auch, dass man mehr auf Reisen geht, was hohe Emissionen bedeutet. Typisch zeitgenössische Widersprüche.


Reduktion als Ideologie und Praxis

Als Kapitalist frage ich natürlich, was ich hier für mein Geld bekomme. Die Antwort ist: Entlastung. Denn sich LOT anzuschließen “is a kind of freedom to stop thinking about fashion, freeing the mind for loftier things – like contemplating mortality”, wie es in o.g. Artikel heißt. Eine Sache weniger, über die man sich Gedanken machen muss, ist eine gute Sache. Ganz abgesehen von den Nervigkeiten, die sich rund um das Thema Mode abspielen.

LOT nutzt insgesamt vier Anknüpfungspunkte, um für Entlastung zu sorgen: Service, Ideologie, Kommunikationspraxis, Abschaffung des Distinktionszwangs.

Service

Das Abonnement sorgt schlichtweg dafür, dass man für eine Reihe von Basics keinen Handschlag mehr tun muss, und wer den Advanced Plan nimmt, bekommt Drogerie-Artikel und Accessoires (Tätowiermaschine!) oben drauf. Unterhosen, Socken, T-Shirts, ab und zu eine Hose, einen Pulli, Schuhe – braucht man alles, nichts dagegen einzuwenden.

Ideologischer Überbau

Früher hätte man es Manifest genannt, jetzt heißt es Code of Practice. Im Kern geht es immer noch um Anweisungen zum Wahrnehmen, Handeln und Leben, nur kommen die jetzt nicht mehr aus Philosophie oder Politik, sondern aus der Wirtschaft. “Build stories and languages, not things”. Oder auch: “Do not work for corporations”. Oder “Fuck likes, followers, fake lives, fake friends”. Oder “Your phone is a temporary feature — don’t spend your life on it”. Sie sehen, in welche Richtung es geht. Die erste, erwartbar beknackte und paradoxe Nachricht ist selbstredend, dass hier ein Fashion-Label ein kontra-konsumistisches Pamphlet mit den standardisierten, zustimmungspflichtigen Klagen der zeitgenössischen West-Existenz zum Besten gibt. Im Umkehrschluss müssen Sie sich aber auch fragen, welche (unausgesprochenen) Befehle die anderen Marken Ihnen entgegen brüllen.

LOT hat aber auch aus einem anderen klassischen Zitat gelernt: If I can’t dance, it’s not my revolution. Deshalb gibt es neben den Klamotten auch noch Mix Tapes, Aufkleber, Poster, sinnlose Festival-Armbänder usw. Kryptische Verspieltheit bildet ein Gegengewicht zur Strenge der Kleidung und Aussagen. Hinzu kommen noch RL-Treffen, Talks, Twitch-Sitzungen, users-in-residence. LOT versucht, die Leuchte mit einer Vielzahl von Anknüpfungspunkten in seine Welt hinein zu ziehen.

Kommunikation & Interfaces

Der Code of Practice ist als großmauliger Text nur deshalb akzeptabel, weil die propagierten Ideen von Reduktion und Konkretion im Umgang mit mir, d.h. im Design der eigentlichen Dienstleistung, eingelöst und umgesetzt werden. Das beginnt bei der User-Verwaltung: Ich existiere bei LOT nur als Email-Adresse (und als Kreditkartendatensatz, klar). Wenn ich meinen persönlichen Bereich betreten will, bekomme ich jedes Mal einen Verifizierungslink geschickt, es gibt keine Maske, um mich einzuloggen. Es gibt auch keine Kontaktformulare, keine AGB-Bestätigungen, keine Routinen für Rückgaben, keine Bewertungen etc. Der einzige Weg zu LOT ist die Email.

Und so wird der ganze digitale Kladderadatsch, der beim Konsum zwischen mir und den Produkten steht, mit einem Schlag überdeutlich klar – und erscheint sofort als nervtötend. Die Passworte, die man sich merken muss, die Farben, Formen, Schnitte, Größen, Optionen, die ständig von Neuem durchgegangen und gewählt werden müssen, die Werbetexte, die einem noch im Kaufvorgang entgegen dröhnen, der Bewertungs- und Kommentierungswahn, dort bitte ein Häkchen setzen, hier noch eine Schaltfläche, da eine Klickmöglichkeit usw. usf. Das Elend des digitalen Konsumkapitalismus erscheint vergrößert im Rückspiegel von LOT.

Während ich meine allererste Email schrieb, war ich mit Blick auf die versprochene KI etwas verunsichert. In meinem Hirn bedeutet eine Email-Adresse immer noch, dass am anderen Ende ein Mensch als Empfänger sitzt. Im Shopping-Kontext ist das aber völlig unüblich, da man nur mit anonymen Digitaloberflächen interagiert. Daher rechnete ich eher damit, dass meine Nachricht von einer wahnsinnig ausgefuchsten KI verarbeitet würde. Fast müßig zu erwähnen, dass die Gespräche mit Yagmur supernett und hilfreich gewesen sind. Anders gesagt: Man erwartet überwältigende Maschinenintelligenz und bekommt eine überaus angenehme Mensch-zu-Mensch-Unterhaltung, schneller und persönlicher als bei all den anderen Unternehmen, die einem mit ihrer dauernden Werbe-Menschelei auf den Sack gehen.

Keine Distinktion / Die Hose sitzt gut genug

Die Aufforderung, sich doch weniger mit Kleidung, sondern der eigenen Sterblichheit zu befassen, wirkt in einem distinktionsgetriebenen Business wie Mode absurd und unhaltbar. Letztlich verlagert LOT die Entscheidung nur auf eine andere Ebene, indem es an das etablierte Klischee der komplett Schwarz tragenden Architekten, Designer und Intellektuellen anknüpft. Es geht also nicht mehr um Abgrenzung durch einzelne Teile oder Schnitte, sondern durch eine Gesamtverweigerung, die über die Farbe abgewickelt wird. “Wear the Uniform” ist dann auch der passende Claim, mit dem die Assoziation mit den genannten Berufsgruppen systematisiert wird. Nebenbei bemerkt: schaut man sich die instagram-Stories von LOT an – die hauptsächlich Posts von Usern zeigen –, scheint das Label seine Kundschaft fleißig aus diesem Milieu zu rekrutieren.

Schwarz bedeutet, beim Anziehen nicht groß nachdenken zu müssen, man entzieht sich einer ganzen Reihe von Stylefragen und Oberflächenproblemen. Ein weiterer Effekt war das Hinabsinken meines eigenen Anspruchs. Bei der Hose fiel mir das auf, die sitzt im Grunde gut, nur etwas unbestimmt auf den Hüften und etwas straff an den Waden. Heißt aber eben auch: nicht hundert Prozent überzeugend. Vermutlich hätte ich das Teil nicht gekauft, wenn ich es in einem Laden anprobiert hätte, dort ist der Blick kritischer. Hier jedenfalls: okay, das reicht mir – die Hose sieht gut aus und sitzt gut genug. Was willkommene Entlastung von der Feinwahrnehmung tendenziell lächerlicher Mikro-Thematiken darstellt.

Fazit

LOT entfernt die Distinktion aus den sichtbaren Oberflächen und platziert sie im Kontext der Produkte. Die zentralen Dinge – die Kleidungsstücke – werden beinahe irrelevant. Was zählt ist, wie dazu und drumherum gedacht und geredet wird.

Das Ergebnis: Man kann die Affigkeiten des Modetheaters hinter sich lassen, ohne wie ein ästhetik- und technikfeindlicher Ignorant dazustehen. Man nimmt an zeitgenössischen Thematiken teil, ohne sich bedroht oder überfordert zu fühlen. Kurz: Mitmachen, ohne mitzumachen.