- Ist »Designer« ein Bullshit-Job?
- Bei einem Bullshit-Job handelt es sich laut David Graeber um eine Arbeit, die die Gesellschaft nicht braucht. Er ist sinnlos und überflüssig, weil er niemandem hilft.
- Antwort eines befreundeten Designers: Nein, denn darum geht es: zu helfen. Ich gestalte, damit Menschen weniger Schwierigkeiten haben und besser leben können. Und vielleicht orientiere mich sogar nicht nur an menschlichen und sozialen, sondern auch an planetarischen Bedürfnissen. Mit Erika Hall1: »As a designer, you have an enormous, exciting responsibility. You define the human world, one object or system at a time.«
- Einwand des Wirtschaftssystems: Design als eigenständiger Job kommt erst dann zustande, wenn er nachweislich profitabel ist. Steht das in Frage, kann auf ihn gut verzichtet werden. Man gibt sich dann mit implizitem Design – das z.B. von Ingenieuren oder Business-Menschen erledigt wird – zufrieden. Von Vorteil dabei ist, dass die Qualität impliziten Designs nicht bewertet werden muss, da es keine sichtbaren Kosten gibt.
- Es war einmal so und für lange Zeit. Design ist angewandtes Wissen von und über Gestaltung; diesem Wissen wurde erst ab dem 19. Jahrhundert eine besondere Pflegebedürftigkeit unterstellt – so dass es sich als Beruf ausdifferenzieren konnte. Weil aber niemand garantieren kann, dass dieser sich nicht wieder entdifferenziert, beherrschen die Entlassungen der US-amerikanischen Tech-Branche und die daraus resultierende Angst die derzeit laufende »Diskussion« darüber, ob Designer abgeschafft werden, d.h. im Bermuda-Dreieck von Data Science, Design-Systemen und generativer AI verschwinden.
- Design als Profession hat folglich das wiederkehrende Problem, eine abhängige, assistierende und implizite Technologie zu sein. Ob ein Designer einen Bullshit-Job hat, hängt somit letztlich von der Bullshittiness des Auftraggebers ab.
- Womit wir die Eingangsfrage beantworten können: An und für sich ist Design kein Bullshit-Job.
- Aber weil der Einzelfall zählt, droht immer Gefahr. Sind die beauftragten und gestalteten Dinge sinnvoll, hilfreich, nützlich?
- Um die Frage zu beantworten, schlägt David Graeber ein Was-wäre-wenn-Spiel vor: Was würde geschehen, wenn die gestalteten Dinge von jetzt auf gleich verschwinden würden? Wären die Folgen für die Gesellschaft »sofort spürbar und katastrophal?« 2 Jahre vor Covid stellt er damit übrigens die Frage nach den »systemrelevanten« Berufen.
- Ich kann mich nicht erinnern, dass Designer:innen dazugehörten. Man darf also annehmen, dass ihr Ausfall kurzfristig (!) problemlos zu verkraften ist.
- Mittel- und langfristig dürfte es hingegen große Probleme geben. Abstürzende Flugzeuge, Mangelnde Ergonomie von Möbeln, dysfunktionale Haushaltsapparate, defekte Atomkraftwerke, unleserliche Plakate, formlose Kleidung, fehlkonzipierte Webseiten und Apps, schlecht verbundene Materialien, undurchdachte Bedienung medizinischer Geräten, miserabel aufgesetzte Prozesse und Services – es gibt mehr als genügend Gelegenheiten, die Dinge mit schlechtem Design und damit einher gehenden katastrophalen Effekten zugrunde zu richten.
- Bei vielen Sachen ist es aber auch einfach Wurscht – womit wir wieder bei der Frage sind, wo Bullshit beginnt und wo er aufhört.
- Wie man am Wort erkennt, geht es eher um ein Gefühl als um eine wissenschaftliche Definition. Als Begriff ist Bullshit kaum zu gebrauchen – man wird für jede noch so dämliche Arbeit eine gute Rechtfertigung und Erklärung finden, um den Bullshit-Vorwurf abwehren zu können. Und sei es die, dass man mit ihr Essen und Miete bezahlen kann.
- Was eine äußerst gute Rechtfertigung ist.
- Statt einer formalen Unterscheidung zwischen Bullshit und Nicht-Bullshit schreibt Graeber lieber Listen. Und zwar Listen mit Jobs, die seiner Meinung nach »sinnhaft«, »wertvoll« oder »nützlich« sind – und Listen mit denen, die das in seinen Augen nicht sind.
- Zu den Bullshit-Jobs gehören u.a. Private-Equity-Manager, Marketingpersonal, Lobbyisten, Public-Relations-Forscher, Versicherungsfachleute, Telefonverkäufer oder Rechtsberater.
- Demgegenüber stehen Krankenschwestern, Straßenreiniger, Automechaniker, Busfahrer, Zahnärzte, Bauern, Musiklehrer, Handwerker, Gärtner, Feuerwehrleute, Bühnenbildner, Klempner, Journalisten, Sicherheitsbeauftragte, Musiker, Schneider. Sie alle leisten in seinen Augen »einen sinnvollen Beitrag zur Welt«.
- (Interessanterweise alles Jobs, die vor 1900 entstanden sind.)
- Diese Listen erzeugen beim Lesen eine Evidenz, mit der Graeber begriffliche Mängel erfolgreich kaschiert. Man erfasst auch intuitiv, warum die einen Jobs auf dieser und die anderen auf jener Liste zu finden sind. Ich musste oft lächeln und nicken.
- Falls du ein Designer bist: auf welcher Liste stehen deine Auftraggeber?
- Das ist nämlich Graebers zentrales Kriterium, mit dem sich ein Bullshit-Job erkennen lässt: frag doch einfach die Leute selbst.
- Wohl kapitalistischer als ihm lieb sein dürfte (bzw. gewesen sein dürfte, er ist leider tot), betreibt Graeber auf diese Weise moralisches Outsourcing. Weil er keine wissenschaftlich haltbare Unterscheidung zwischen sinnvollen und sinnlosen Jobs hinkriegt (man also durchaus fragen kann, wie »sinnvoll« die Kategorie des Bullshit-Jobs eigentlich ist), setzt er auf die Selbstbeschreibung der Arbeitenden. Diese wüssten am besten, ob sie einen Bullshit-Job haben.
- Hast du einen Bullshit-Job?
Designer, ein Bullshit-Job?
Im Anschluss an David Graebers Buch »Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit«, 2018