Wie halten Sie es denn mit Rechthabern, Besserwissern und Kommandeuren? Ich nehme an, dass Sie die nicht allzu sympathisch finden, wie ich. Anblaffen, Zurechtweisen und Befehle geben ist weder schön noch empathisch, geschweige denn intelligent oder strategisch ratsam. Es ist vielmehr eine Sauerei, verletzen solche Typen doch an vorderster Front das »zentrale ’Menschenschrecht‘ in der spätkapitalistischen Gesellschaft«, nämlich das »Recht, nicht belästigt zu werden, das heißt in sicherer Distanz zum anderen gehalten zu werden«.1 Anstelle von Höflichkeit, Zögern und Zweifeln setzen sie den Willen, ihren eigenen Willen durchzusetzen.
Wer aber die Kehrseite kennt, ist genauso genervt. Freundliches Rumgeeiere, das zu keinem geraden Satz führt, das sich nicht traut, Dinge beim Namen zu nennen (geschweige denn zu denken) oder um reale Hierarchien herumschwarwenzelt, ist ebenfalls schwer zu ertragen. Denn Meinungen, Ansagen und Argumente – höflich und verbindlich vorgetragen – wären oft hilfreicher, um zu wissen, worum es geht und was jemand will. Produktiver Streit und Konflikte sind aber derzeit nicht en vogue, sondern werden gemieden. Die Leute bevorzugen es, nicht so genau mitzukriegen, wessen Interessen durchgesetzt und wie sie subkutan dazu gebracht werden, Dieses oder Jenes zu tun.
So sieht es auch bei den jüngsten lernenden Maschinen, genannt »künstliche Intelligenzen«, aus. GPT, ChatGPT, Midjourney, Dall-e und der Rest haben rufen gerade Heerscharen ökonomischer Thought Leader auf den Plan, die die neuen Technologien mit sanftem, aber bestimmtem Druck auf Jedermenschs Agenda zu drücken versuchen. Wer sich nicht in »Prompt Engineering« übt – also absurderweise lernt, Befehle zu schreiben –, werde als Arbeitnehmer:in mittelfristig abgeschafft, so der Tenor. Aber, alles nicht so schlimm: glaubt man den sogleich mitgelieferten Beschwichtigungen, handelt es sich ja bloß um »Tools«, die uns die Arbeit erleichtern.
Womit die Rede wieder mal bei den »Extensions of Man« (Marshall McLuhan) angekommen ist, die versucht, den Medien ihre strukturbildende Schärfe zu nehmen, indem sie sie zu Werkzeugen des Menschen erklärt. Eine Behauptung, die zuverlässig dazu dient, an dem Glauben festzuhalten, dass wir die Souveräne unserer Maschinen seien. Dabei zeigt ein kurzer Blick in die öffentlichen Räume, dass uns Smartphones und andere Computer an der Leine herumführen.
Wie wir dazu genötigt werden, neue Technologien einzugemeinden, um im ökonomischen Wettrennen die Geschwindigkeit noch weiter zu erhöhen, ist das eine. Das andere sind die sanften Befehle und die produktive Macht, die in den »Tools« selbst am Werk ist. Bei ChatGPT ruht diese Macht auf dem Zugriff auf eine riesige Menge von Texten einerseits sowie seiner Fähigkeit, neue Texte aus diesen Mengen zu synthetisieren andererseits. Die Synthesefähigkeit kommt mit einer bestimmten Rhetorik, einer Art zu sprechen, mit der sich der Chatbot in unsere Hirne einnistet, um seine Autorität zu errichten. Wie das vor sich geht, will ich hier anhand eines Kontrapunkts herausstellen – also mit einem Vertreter der o.g. grenzverletzenden Kommandogeber:innen. Dieser Vertreter hilft uns darüber hinaus dabei, die ganze Angelegenheit besser einzuordnen.
Diese andere, kontrapunktische Rhetorik ist die des Germanisten, Medien- und Kulturwissenschaftlers Friedrich Kittler, gestorben 2011. Für ihn war die Herrschaft des Menschen über Sprache, Bilder und Techniken seit jeher ein Selbstbetrug erster Güte – und mit dieser Ansage sind wir schon in seiner drastischen Art des Schreibens angekommen. Von seinen Argumenten wie von seiner Stilistik her bietet er einen guten und unterhaltsamen Blick darauf, wie sich Autorität artikuliert und performativ in Szene setzt. Um das ein wenig auszuschmücken, gönne ich mir einen portraithaften Umweg durch einige seiner Sätze, bevor wir zurück zum Textautomaten gehen (ich konzentriere mich hier auf Texte aus den 1980ern Jahren, in denen er am heftigsten losberserkt). Hören wir mal rein:
»Im Augenblick gnadenloser Unterwerfung unter Gesetze, deren Fälle wir sind, vergeht das Phantasma vom Menschen als Medienerfinder.«
»Stokers Dracula ist gar kein Vampyrroman, sondern das Sachbuch unserer Bürokratisierung.«
»Der Weltgeist hat die geistige Kontrolle längst abgegeben und ist in die Silizium-Chips eingezogen.«
»Nennen wir es die Sache von Literatur und damit auch von Literaturwissenschaft, den Zusammenhang des Netzes, in dem Alltagssprachen ihre Untertanen einfangen, überlieferbar zu machen.«
Knallt doch wunderbar. Das System Universität hatte Anfang der 1980er Jahre mit dieser Art des Schreibens einige Schwierigkeiten. Es brauchte geschlagene 2 Jahre und 9 Gutachten, bis Kittlers Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800/1900 als »vollwertig« anerkannt wurde. Zur Illustration hier einige Kommentare:
- mitunter das Kalauerhafte streifende Bemerkungen (Peter Pütz)
- imperatorisch generalisierend (Gerhard Kaiser)
- metasprachliche Arroganz (Gerhard Neumann)
- narzisstisch akommunikativ (Hans-Martin Gauger)
- verlässt sich ganz auf den Effekt (Manfred Schneider)
- verabsolutierte Sachaussagen (Kommissions-Gutachten)
Besagte Habilitationsschrift ist mittlerweile ein medienwissenschaftlicher Klassiker und Kittler selbst Wissenschaftspromi a.D. Wohin das geführt hat, zeigt folgende kleine Begebenheit: Kittler, der immer wieder den Krieg als finsteren Treiber der Medienentwicklung anführt und dessen zweiter Vorname Adolf nur gelegentlich als A. in die Autorensignatur aufgenommen wurde (also den Namenspaten höchst absichtsvoll ins Licht setzte), kam zuletzt in den Genuss einer Anhängerschaft, die sich ausgerechnet Kittlerjugend nannte. Ironisch? Vielleicht. Aber nur, um – wie hier so schön bemerkt wird – die darunter liegende Ernsthaftigkeit zu maskieren. Her mit den Befehlen, sagt das akademisch-künstlerische Jungvolk 50 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Kittlers Faible für den Psychoanalytiker Jacques Lacan dürfte das gut gefallen haben.
Der Fan aber ist, nach den Worten von Rainald Goetz, struktureller Idiot. Vielleicht deshalb, aber wohl eher wegen meines mittelmäßigen, ungebildeten studentischen Dorfgehirns war sein harter, belesener, poetisch informierter und gern auch kryptischer Kasernentonfall ziemlich einschüchternd, aufregend und unterhaltsam. »Er kann einfach unglaublich gut schreiben. Punkt.« Heißt: seine sachliche Autorität, die im Status der verbeamteten Professors verbürgt war, machte nur einen Teil seiner Autorität aus – die Ästhetik seiner Schrift den anderen.
Kittler fasst das Verhältnis zwischen Mensch und Medium vorzugsweise in der Form des Befehls – mit dem Menschen auf der Empfängerseite. Wir sind »Subjekte – und das heißt Untertanen«, die den Zeichen gehorchen. Aus diesem Befund (und im Anschluss an Lacans Rede vom Herrn-Diskurs) zieht Kittler für sich selbst und sein Schreiben den Schluss, dass der Autor eine Art Einpeitscher der Worte zu sein hat. Er ist gewissermaßen die Exekutive einer grausamen symbolischen Ordnung. Was im Ergebnis heißt: »Germanistik mit dem Hammer«2. Schreiben heißt nicht nur Analysieren, sondern auch Verurteilen, Dekretieren und Befehlen.
Das Hämmern von ChatGPT ist nur optisch laut, in seinem Gerede aber leise, kaum zu vernehmen. Im Gewand einer nüchtern-sachlichen, höflichen, manche hoffen sogar: nuancierten Rhetorik ist der Chatbot somit erstmal nur ein weiterer Knotenpunkt im »Zusammenhang des Netzes aus Alltagssprachen«, dessen Untertanen wir laut Kittler sind. Weil aber die Adresse, unter der hier gesprochen wird, keine menschliche, sondern eine maschinelle ist, entwickelt dieser Knotenpunkt jene berüchtigte Wucht, die alle in Aufruhr versetzt. Allein das Nichtmenschliche genügt, um die Wahrnehmung des Geschriebenen komplett umzukrempeln.
Das Ergebnis ist, dass das allernormalste Sprechen wieder zauberhaft erscheint. Einfachste Sätze strahlen eine Magie und einen Schrecken aus, an dem Kittlers »programmatischer Antihumanismus«3 seine helle Freude hätte. Im Unterschied zu unserer üblichen blinden Gefangenschaft im Geplärre der Mitmenschen, Institutionen und Verbreitungsmedien schafft es eine Maschine, die banale Regelhaftigkeit der Sprache in frisches, unheimliches Licht zu tauchen.
Im Zuge seiner Textproduktion erzeugt der Bot immer den Anschein zu wissen, wovon er redet. Aber man muss es immer wieder betonen: die derzeit heißeste lernende Maschine hat keinerlei Bewusstsein, also auch keinen Sinn für Sinn. Sie »versteht« nicht, sondern ist ein statistisches Kalkül, das mit Wahrscheinlichkeiten operiert, also nach stochastischen Regeln ein Wort hinter das nächste setzt. Die von ihr produzierten Zeichenfolgen »wissen« nicht, wovon sie reden, ja der Chatbot versteht nicht einmal die ihm gestellte Frage: „They are not answering questions – they’re making something that looks like an answer to questions that look like your question.“ 4
Das Zustandekommen der Zeichenkette basiert nur darauf, »Symbole und Kombinationsgesetze zu akzeptieren, ohne ihnen irgendeine Bedeutung zu geben« (Kittler). In dieser Akzeptanz ist der Kalkül meisterhaft, weil er die Kombinationsgesetze der Sprache Millionen von Worten und Sätzen abgeschaut und in Produktionsregeln überführt hat. Damit ist der Chatbot das allgemeine Reden, d.h. der »gängige Diskurs aller Tage« (wieder Kittler) in Reinform, die Verkörperung dessen, wie man spricht.
Und eben darin gründet seine abgründige Autorität. Ja, er kann auch aus riesigen Textmengen maßgeschneiderte Datenbrocken zusammenstellen – aber es ist seine kristalline Sprachfähigkeit, die ihn zu einem abstrakten, gottgleichen Agenten der Symbole macht. Hier wird immer die »Wahrheit« gesprochen, einfach weil die Zeichen kontextsensitiv und regelkonform zusammengesetzt werden. Der Bot ist unfehlbar, kann gar nicht lügen – weil er das Konzept »Lüge« nicht kennt.
Weil wir »ihm« aber Fragen stellen und in einen Dialog eintreten, operieren wir unter dem Schein des Anthropomorphen, unterstellen also Sinnverständnis. Und der Bot geht ja sehr geschickt mit der Problematik des Sinns um. Werden die Fragen komplexer, gibt er einfach unterschiedliche menschliche Meinungen wieder – das ist das, was Open.Ai CEO Sam Altman im oben verlinkten Interview unter »Nuancierung« versteht. Bleiben die Fragen hingegen einfach, antwortet er statistisch korrekt und und auch dann im Brustton der Überzeugung, wenn er Mist erzählt. Für die Lesenden ergibt sich der Wahrheitseffekt seines Schreibens aus dem geradlinigen Indikativ, dem »so ist es« der Rhetorik. Ambiguität und Gegensinn können zwar in Positionen menschlicher Meinungen beschrieben und wiedergegeben, aber nicht performativ aufgeführt werden.
»The bot always sounds confident, even when it’s talking out of its ass… It does not admit a smidgen of doubt about what it’s saying.«
Clive Thompson. On Bullshit, And AI-Generated Prose
Hier befindet sich der rhetorische Schnittpunkt zwischen dem sanften, eindringlichen Befehls grammatikalischer Korrektheit einerseits und stampfender Unbedingtheit andererseits. Denn sowohl Friedrich Kittler wie auch ChatGPT wissen: »A highly confident speaker is viewed as being more accurate, competent, credible, intelligent, knowledgeable, likable, and believable than the less confident uncertain speaker«. Im Zwischen-Gesicht, im Interface der Texte sehen wir bei beiden kein Zögern, kein Zaudern, kein Abwägen. Im Unterschied zu Kittler aber, der die Programmatik diskursiver Befehle thematisiert und den Lesenden performativ ins Gesicht haut, diktiert uns ChatGPT die Gesetze des geglätteten Sprechens kühl, leise und sinnfrei auf den Bildschirm. Der implizite Befehl des richtigen Sprechens ist diskret, durchdringt aber jeden Buchstaben und übt so eine Autorität aus, die über Meinung und Sinn hinausgeht.
Beide Rhetoriken kommen mit ihrem je eigenen Schmerz für das Publikum. Kittlers donnerndes Auskennertum ist eine persönliche Bedrohung für schwache, intellektuell unterlegene Nerven: er faltet einen zusammen, indem er den salopp unterstellten Falschgang der auf Standardmaß daherdümpelnder Gedanken herrisch zurechtweist. ChatGPT überwältigt strukturell, mit omnipotenziellem Zugriff auf vermeintlich endloses Wissen, das in ultrakorrektem sprachliche Mittelmaß serviert wird. Die strategische Freundlichkeit des Gesprächs tarnt dabei die Befehlsgewalt des Computers – begleitet von der feinen Ironie, dass der Chatbot, wie jeder Computer, überhaupt erst durch die Eingabe eines Befehls losmarschiert.
Exeunt the bodies: Zwei Untote stehen sich also gegenüber – die Texte eines idiosynkratisch kommandierenden Wissenschaftlers und der Output einer bewusstseinsfreien Maschine. Die Gewaltsamkeit der beiden steht ungekehrtem Verhältnis zu ihrer Rhetorik: Kittler ist zwar herrisch im Ton, aber seine Schriften haben keine in den Alltag diffundierende Macht über uns (was freilich nur gilt, solange man kein Wissenschaftler ist, d.h. außerhalb der zugehörigen Verteilungskämpfe steht). Es bleibt eine freie Entscheidung, ob man seine Übergriffe in wohlig-unterwürfigen Lektüre-Genuss für sich übersetzen möchte (was ich selbstredend dringend empfehle). Manche Autoritäten lassen sich, gottseidank, wählen.
ChatGPT & Co lassen uns diese Wahl nicht. Freundliche Rhetorik hin, Werkzeug-Behauptung her: es wird darauf hinauslaufen, Geschwindigkeit, Effizienz und Produktivität weiter anzuheizen, um die Profite anderer zu vermehren. In Sachen Broterwerb und sonstige Notwendigkeiten, die employability verlangen, werden wir, die »Subjekte von Gadgets und Instrumenten maschineller Diskursverarbeitung«, die fortdauernden Provokationen der Maschinen weiterhin brav verdauen. Denn wir wissen, ohne es allzu genau auszusprechen, dass sich unsere Lebensform nur durch die Hingabe an eben jene Instrumente wird halten können. »Was zählt, ist die Relevanz oder Pertinenz in einem Puzzlespiel, nicht die Bedeutung in einer Welt«. However: Wem es gelingt, im Geratter der Worte den Schaltplan selber zu sehen, findet ein Glück.
»
Der Meister sprach. Immer noch.
Der Meister sprach noch, gerade noch und nur um zu sagen, daß er gerade noch sprach.
Noch stampfte er nicht mit dem Fuß, der mit der Kraft eines Koan alles Gerede stoppt, noch knotete er nicht die stumme Topologie seiner Bindfäden, noch war er nicht tot.
Der Meister sprach noch, gerade noch und nur um zu sagen, daß er gerade noch sprach.
«
Friedrich A. Kittler. Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. 1980
Friedrich A. Kittler. Aufschreibesysteme 1800 • 1900. 1985
Friedrich Kittler. Grammophon • Film • Typewriter. 1986
Friedrich Kittler. Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. 1993
Friedrich Kittler. Werkausgabe I.B.4. 2022
- Slavoj Zizek. Lacan. Eine Einführung. 2008 [How To Read Lacan. 2006]
- Luisa Drews und Eva Horn. Aufbruch aus der Germanistik. Ein Nachwort. In: Friedrich Kittler. Werkausgabe I.B.4. 2022
- Till A. Heilmann. Es gibt keine Software. Noch immer oder nicht mehr. In: Oliver Ruf (Hg). Smartphone-Ästhetik. 2018
- Benedict Evans, Newsletter Nr. 485 vom 11.4.2023